Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
84. Jahresband.2004
Seite: 139
(PDF, 115 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2004/0139
„Die Zeit ist der beste Richter". Von Sibirien in die Ot tenau

139

scher Lehrer unterrichtet, da ist die Suppe, meiner Meinung nach, schon
doppelt versalzen - aus dem Regen in die Traufe. Warum soll man mit diesem
Lehrer Deutsch sprechen, wenn Russisch doch leichter geht? Nach einem
Jahr bekommen die Aussiedler in der Regel eine Wohnung in Stadtteilen
, wo überwiegend Russlanddeutsche wohnen und Russisch mit allen
Leibeskräften gesprochen wird. Ohne Wasser kann man das Schwimmen
nicht lernen, ohne tagtägliche Übung lernt man auch die Sprache nicht.
Der russische Poet Sergej Jessenin erzählte mal, unter welchen Umständen
und wie er das Schwimmen gelernt hat. In der Sommerzeit kam er als kleiner
Junge ins Dorf zu seinen Onkeln, die ihn ins Boot mit auf den See nahmen
, dort schmissen sie ihn ins Wasser, fuhren langsam davon. Um nicht
unterzugehen, musste der kleine Junge kräftig mit Händen und Beinen arbeiten
, die Onkel lachten laut und sagten immer wieder: Schwimme, du
kleines Gesindel. Natürlich hätten sie ihn nicht ertrinken lassen, aber so
lernte er notgedrungen das Schwimmen. So ähnlich kann man vielleicht
auch das Sprechen lernen, wenn man weniger Russisches um sich herum
hört. Unter den heutigen Bedingungen, bin ich mir sicher, wird bei vielen
Russlanddeutschen die russische Sprache noch in den nächsten 25 bis 30
Jahren dominieren. Ohne gute Sprachkenntnisse ist es auch kaum möglich,
eine Arbeitsstelle zu finden, und die Integration ist gescheitert. Es gibt aber
auch Fälle, wo die Sprache ziemlich gut vorhanden ist und wo Menschen
mit Hochschulausbildung sich hier nicht anpassen können, weil ihr Beruf
hier nicht gefragt ist oder weil man sie von vornherein schon ablehnt, ohne
ihre Fähigkeiten zu kennen.

Eine Freundin unserer Familie, eine Russin, die mit einem Russlanddeutschen
verheiratet ist, war in Russland ca. 20 Jahre als Mathematiklehrerin
tätig. Sie war so gut in ihrem Beruf, dass Lehrer aus anderen Städten
zu ihr gekommen sind auf ihre offenen Stunden. Man könnte sagen, sie
holten sich bei ihr den Rahm von der Milch. Sie war beliebt bei ihren Kollegen
und war beliebt bei ihren Schülern. Sie trug den Namen einer Verdienten
Lehrerin Russlands. Nach Deutschland umgesiedelt mit ihrer Familie
, bekam sie einen Sprachkurs, den sie fleißig und zielstrebig besuchte.
Sie spricht ziemlich gut Deutsch, aber welche Chance hat sie hier? Nach
dem Sprachkurs fand sie eine Stelle bei einer Versandfirma, wo sie Waren
nach Bestellung verpacken durfte und an den Kunden schicken. Es war
nicht ihr geliebter Beruf, aber sie war zufrieden, immerhin ist das besser
als Sozialhilfe beziehen. Integration geht auch bei dieser Arbeit voran. Eines
Tages platzierten sich neben ihrem Verpackungstisch auf dem Fußboden
zwei Studenten, die in dieser Firma ihren Sommerjob machten, um
vielleicht ihre Kasse etwas aufzubessern. Sie waren auf dem Fußboden so
lange mit ihren Integralen beschäftigt, bis sie in der Sackgasse waren und
nicht mehr weiterkamen. Unsere ehemalige Lehrerin war mit ihrer Verpackung
beschäftigt, aber sie warf ab und zu den Blick auf den Fußboden zu


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2004/0139