Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
84. Jahresband.2004
Seite: 143
(PDF, 115 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2004/0143
Zwangsarbeil auf dem Land im „Drillen Reich"

143

gilt hauptsächlich der Häufigkeit und Intensität des Gottesdienstbesuchs
der Zwangsarbeiter, keine Empathie bringt er hingegen für ihre Alltagserfahrungen
auf. Eher wird deren Gefangenenstatus sogar verharmlost, wenn
der Pfarrer wissen lässt: „Es verdient festgehalten zu werden, wie international
unser kleines Schweighausen zur Zeit ist."15 Zudem legt der Priester
die Betonung darauf, welch schlimme „Landplage" - so Reitinger - die
ehemaligen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen nach Ende des Krieges
gewesen seien.16 Ein solches Interpretament, das kaum an den Einzelschicksalen
der nach Deutschland verschleppten Personen interessiert war,
sollte auch später viele der Erzählungen über die Ereignisse am Ende des
Zweiten Weltkriegs in der Ortenau bestimmen.17 Die Konzentration auf die
turbulenten Tage des Kriegsendes führte in vielen Fällen dazu, dass man
von den ehemaligen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern das Bild von
gewalttätigen Plünderern und Marodeuren zeichnete, während ihr vorher
erlittenes Schicksal nicht untersucht wurde.

Der hier referierte ernüchternde Forschungsbefund steht in keinem Verhältnis
mit den tatsächlichen Ereignissen: Allein in der südlichen Ortenau
wurden während des NS-Regimes mehrere Tausend ausländische Kriegsgefangene
und zivile Zwangsarbeiter/innen festgehalten, um Arbeitseinsatz
zu leisten. Die Forschungen der Historiker Bernd Boll und Roland Peter
haben uns über die Größenordnungen aufgeklärt. So betrug die Zahl der
Kriegsgefangenen in der Landwirtschaft auf dem Gebiet des heutigen Baden
-Württemberg schon 1940 um die 42.000 Menschen. Die ausländischen
Arbeiter waren schlicht lebensnotwendig für die deutsche Bevölkerung,
denn zu dieser Zeit „[wäre] ohne diese Zwangsarbeiter [...] die Ernte auf
den Feldern verrottet."18 Die Zahlen stiegen rasch an: Anfang 1941 waren
in Baden rund 20.500 Zwangsarbeiter/innen und Kriegsgefangene im Einsatz
.19 Im November 1942 war schließlich jeder zehnte Arbeitsplatz in Baden
mit einer/m ausländischen „Zivilarbeiter/in" besetzt, eine Schätzung,
die auf eine Zahl von etwa 66.000 Arbeiter/innen zurückgeht. Hinzu kamen
etwa 30.000 polnische und französische Kriegsgefangene. Insgesamt
waren damit gegen Ende 1942 etwa 100.000 ausländische Arbeitskräfte in
Baden eingesetzt.20 Für Ende 1944 wird die Zahl von etwa 107.000
Zwangsarbeiter/innen genannt, wobei es sich bei 38.300 um so genannte
„Ostarbeiter" handelte.21 Im Kreis Offenburg mussten Ende des Jahres
1942 mehr als 4.500 Zivilarbeiter/innen und mindestens 1.800 Kriegsgefangene
arbeiten.22 Eine Statistik vom September 1944 nennt schließlich
für den Arbeitsamtsbezirk Offenburg, der für die gesamte südliche Ortenau
zuständig war, 8.069 ausländische Arbeitskräfte, davon 5.147 Männer und
2.922 Frauen.23 Auf dem Hintergrund der Erhebungen des Französischen
Suchdienstes FNTB im Rahmen der großangelegten „Ausländersuchaktion
" der Alliierten in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren speziell in
den ländlichen Gemeinden und Dörfern der südlichen Ortenau - in den


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2004/0143