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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
84. Jahresband.2004
Seite: 243
(PDF, 115 MB)
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Auswanderung aus Großweier

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treffenden Amtskanzlei um so gewisser anzumelden und zu begründen, als
ihnen sonst später nicht mehr zur Befriedigung verholfen werden könnte."

Nachdem auch noch die Gebühr für das Inserat im Anzeigeblatt und die
Schulden beim Heiligenfond bezahlt waren, konnte der Reisepass am
26. September in Empfang genommen werden. Die Reise ging von Straßburg
über Paris nach Le Havre und von da mit dem Schiff „Heidelberg"
nach New Orleans. Die Umstände der Reise müssen auf den neunjährigen
Bernhard Merkel so einen starken Eindruck hinterlassen haben, dass er sich
noch im hohen Alter von 92 Jahren an viele Einzelheiten erinnern konnte. Es
gibt uns auch einen Eindruck, wie die Auswanderung aus dem mittelbadi-
schen Raum ablief. Aber lassen wir ihn selbst erzählen. Er schreibt:

„Ich habe noch eine lebhafte Erinnerung an den Tag, als wir am
11. Oktober 1854 das kleine Dorf Großweier verließen. Meine Eltern und
wir sechs Kinder gingen zuerst zu Fuß nach Straßburg, dann mit der Eisenbahn
über Paris nach Le Havre. Dort mussten wir eine Woche warten, bis
unser Schiff abfuhr. Hier begann eine Serie von Ereignissen, die für unsere
Familie herzzerreißende Schicksalsschläge bedeuteten.

Während wir auf das Schiff warteten, wurde mein jüngster Bruder
schrecklich heimwehkrank und bat ständig, nach Hause zu gehen. Meine
Mutter war bereit zurückzukehren, aber Vater bestand darauf, dass wir die
Reise fortsetzen, da wir alles verkauft hätten, um genug Geld für die Reise
zusammenzubekommen.

Am 20. Oktober verließen wir mit dem neuen Schiff, der „Heidelberg", Le
Havre. Es waren 860 Passagiere an Bord, die alle ihre eigene Verpflegung
mitbrachten. Wir waren gerade drei Tage an Bord, als mein jüngster Bruder
Joseph starb. Sein Leichnam wurde mit Steinen beschwert und dem Meer
übergeben. Nach 45 Tagen auf dem Ozean kamen wir am 4. Dezember in
New Orleans an. Wir schifften uns auf einem Mississippi-Dampfer nach St.
Louis ein. Das Schiff war mit Colera verseucht und meine Schwester Maria
Luise starb am 11. Dezember, ihrem fünften Geburtstag. Einige Tage später
erlag mein älterer Bruder Hugo derselben Krankheit. Beide wurden auf Inseln
begraben, zusammen mit weiteren 33 Opfern, wenn das Schiff nach
Sonnenuntergang anlegte. Wir nahmen dann die Eisenbahn nach Galena, Illinois
, wo wir am Weihnachtstag ankamen. Am selben Tag überquerten wir
den zugefrorenen Mississippi, um auf der anderen Seite drei Brüder meiner
Mutter zu besuchen. Während des Treffens heiratete ein Mädchen, das mit
uns auf dem Schiff war, einen Mann, der bei einem meiner Onkel beschäftigt
war. Am 26. Dezember kehrte meine Mutter mit uns wieder nach Galena
zu unseren Verwandten zurück, wo sie an Gelbfieber erkrankte, untröstlich
in ihrem Kummer über den Verlust von drei Kindern während der Reise
. Sie starb am 27. Dezember, meinen Vater, meine zwei Schwestern und
mich hinterlassend. Von acht Personen, die vor zwei Monaten die Reise angetreten
hatten, waren wir noch vier. Ich erinnere mich noch deutlich an das


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