Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
84. Jahresband.2004
Seite: 374
(PDF, 115 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2004/0374
374

Johannes Werner

hineinzukommen, wurden sie operativ sterilisiert und damit für ihre ganze
Zukunft zu Idioten gemacht.1*

Wir hatten auch manch schöne Stunde im Lager. Die Gleichgesinnten
fanden sich rasch zusammen, und wenn Neue kamen, hatte man es rasch
erspürt, wer in den Kreis aufgenommen werden konnte. Der Sonntagnachmittag
war frei. Da gingen wir so manches Mal zu zweien oder dreien die
Blockstraße entlang und beteten zusammen die Messe aus dem Schott.
Den hatten wir uns organisiert, und er wurde als der kostbarste Schatz gehütet
. Im Mai '45 machten wir sogar ein Maialtärchen. Da waren die Russen
aber schon im Lager.

Die ewigen Gelübde legte ich vor Schwester Gregoire, einer Oberin aus
dem Elsass, ab, zwischen Stacheldraht und Baracke, gut und sicher hinter
dem Block versteckt. Es war schwer, beinahe 2 Jahre keine hl. Messe, keine
Sakramente. Ja, wenn man sein Gottvertrauen nicht gehabt hätte, man
hätte wahnsinnig werden müssen. Ein Ideal musste man haben. Zu meinen
persönlichen Schätzen gehörte eine gut gelungene Muttergottesmedaille,
die ein Häftling mir aus einer Zahnbürste geschnitzt hatte (Nichte des Bischofs
von Mainz). Solche Kostbarkeiten musste man freilich gut verstecken
. Man wurde findig und schlau in solchen Dingen; denn immer wieder
war gründliche Untersuchung vom Bettstroh bis zur Leibesuntersuchung.

Es kam die Zeit, wo von Westen die Amerikaner, von Osten die Russen
Berlin zu nehmen suchten. Bei der Annäherung des Feindes wurden viele
Häftlinge entlassen, um im Lager etwas aufzuräumen. Die Akten wurden
alle verbrannt. Am 28.4.45 hieß es: „Das Lager wird in die Luft gesprengt,
alles, was laufen kann, heraus, wir führen euch dem Amerikaner entgegen,
damit wir nicht den Russen in die Hände fallen!" Ich blieb freiwillig bei
meinen Kranken zurück, und das war mein Glück. Wer sonst nicht gehen
wollte, wurde aus dem Block herausgetrieben - mit Hunden und Schusswaffen
. Verschiedene wurden dabei verletzt. Es ging dann der russischen
Front entgegen. Die SS trieb die Häftlinge als Schutzwall vor sich her,
suchte selbst Deckung hinter ihnen im feindlichen Feuer. Dann flohen sie
und ließen die Frauen schutzlos vor dem Feind. Die nicht umkamen, wurden
von den Russen vergewaltigt. Manche entkamen dann und suchten den
Heimweg. Ich traf in Magdeburg eine von ihnen.

Im Lager waren wir noch 16.000 Häftlinge, jetzt zwei Tage ohne Aufsicht
, aber auch ohne Licht und Wasser. Die aus dem Männerlager durchschnitten
die Kabel, und so verlief alles ruhig, und alle blieben. Am 30.4.
kamen die Russen ins Lager. Sie waren gut gegen uns, wirklich gut. Sie
sorgten vor allem für Hygiene. Die Baracken waren bisher vollgepfropft
gewesen. Die Betten dreistöckig übereinander, und mehrere zusammen lagen
auf einem Strohsack. Das wurde jetzt anders. Wir saßen jetzt auch an
den weißgedeckten Tischen, wo vorher die SS getafelt hatte, und das Essen
war nun gut; Vorräte waren ja genug da. Die tschechische Ärztin, mit der


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2004/0374