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Die Visitationen der Straßburger Kirchenpräsidenten
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rung des Kirchenbuches und der Zuverlässigkeit der Rechnungslegung.
Aber auch ihr Lebenswandel und der ihrer Familie war ausdrücklich zu
überprüfen.
Zum zweiten richtete sich die Untersuchung auf die Gemeindeglieder
mit den „Kirchenpflegern" (Kirchenältesten) als ihren Sprechern. Es ging
um die Häufigkeit der Gottesdienstteilnahme der Erwachsenen und die Regelmäßigkeit
der Jugend beim Katechismusunterricht, auch um Fragen der
Liturgie und des Kirchengesangs, schließlich um die Verhältnisse in der
Dorfschule, deren Aufsicht ja beim Ortspfarrer lag.
Zum dritten - und hier waren die weltlichen Behörden besonders interessiert
- ging es um die Kirchenzucht, das heißt darum, ob und wie weit
die Gemeindeglieder den Ordnungsvorstellungen und rechtlichen Regelungen
, zum Beispiel der „Polizey-Ordnung" des Magistrats, entsprachen.
Nachforschungen nach verschwiegenen Ehegelöbnissen, nach Ehebrüchen,
nach zu frühzeitigen Geburten, nach Verhaltensformen in der Familie und
in der Öffentlickeit des Dorfes schränkten die Freiheit der Lebensgestaltung
in einer Weise ein, die ein moderner Bürger nicht tolerieren könnte.
Man kann sich vorstellen, welche Aufregung in einem Dorf herrschte,
wenn eine Visitation angekündigt worden war.
Eine Visitation dauerte einen oder zwei Tage. Sie begann im 17. Jahrun-
dert mit der Anhörung des Pfarrers, dann des Schultheißen, der Kirchenpfleger
und der Mitglieder des Dorfgerichts - je getrennt. Dann schloss
sich der Kirchgang an, dessen Predigt der Dorfpfarrer hielt und bei dem
die Mitwirkung der Gemeindeglieder - Unterstützung des Pfarrers bei der
Liturgie, Kirchengesang - zur Diskussion stand. Am Nachmittag oder am
nächsten Tag kam die Jugend an die Reihe und - falls vorhanden — der
Lehrer (Nonnenweier hatte 1653 noch keinen eigenen Lehrer, der Pfarrer
sollte dessen Aufgaben übernehmen. Das kam während der Visitation zur
Sprache).17
Schließlich wurde zum Abschluss ein zusammenfassender Befund der
Gemeinde verlesen, unter Betonung der gefundenen Mängel und Ratschlägen
, sie zu beseitigen.
Nach getaner Arbeit verfasste der die Untersuchung leitende Geistliche,
hier die jeweiligen Kirchenpräsidenten, den Visitationsbericht und leitete
diesen an den Magistrat weiter.
Der Visitationsbericht des Jahres 1653
Die „Relation dero in denen überRheinischen Dörffern sodann im Ampt
Wasslenheym gehaltenen Kirchen-Visitation Anno 1653" beginnt mit einem
Rückblick auf die kaum zu beschreibende Verelendung der Dörfer des
Straßburger Landgebiets als Folge des Krieges.18 Man war sich in Straßburg
wohl bewusst, dass die Bewohner der Dörfer größeren Leiden als die
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