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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
85. Jahresband.2005
Seite: 63
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Eine Kindheit und Jugend im Hanauerland

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Wir hatten Angst um das Straßburger Münster. Es sollte zwar geschont
werden, aber man erzählte, daß ein Unteroffizier auf das Kreuz schoß,
weil er oben auf dem Münster eine Beobachtungsstation der Franzosen
vermutete.

In der ganzen Belagerungszeit durfte mein Vater nur mit einem militärischen
Paß und einer Roten Kreuzbinde versehen in sein Filial Neumühl.
Wie es kam, daß er mich einmal mitnehmen durfte, weiß ich nicht. Ich sah
dort sehr primitive Feldküchen und hinter dem Schulhaus die Munitionsvorräte
und das Pulvermagazin. Es war ein Wagnis, so nahe der Festung
diese riesigen Vorräte anzuhäufen. Aber man wußte genau, daß die Straßburger
Kanonen nicht bis dorthin reichten. Mit den unsern hätte man von
der Festung aus bis nach Kork schießen können, sagten uns die Offiziere.
Im Jahr vorher hatte der Blitz in einen Baum auf der Wiese eingeschlagen,
auf der jetzt das unheimliche Zeug stand. Die Lehrersfamilie hatte da keine
trauliche Nachbarschaft und dauerte mich sehr. Endlose Wagenreihen mit
Bomben und Granaten waren durch Kork gefahren worden.

Obgleich die Mutter mich zu Haus recht nötig hatte, schickte sie mich
doch mehrmals in der Woche zur Hilfe in den Frauenvereinssaal. Die
Frauen, welche dort die Arbeit tun wollten, waren wie meine Mutter so belastet
mit Arbeit für die Flüchtlinge, daß sie sehr froh waren, wenn Frau
Dr. Eimer und ich ihre Stelle vertraten. Da nahmen wir Wäschepakete in
Empfang, sortierten, schnitten nach Vorschrift Binden und Kompressen und
Tücher zu, gaben Wäsche aus an Lazarette und einzelne Soldaten. Wir füllten
jede Pause mit Charpiezupfen, d. h. wir zerrupften gebrauchte Wäsche
und alte Leintücher und machten daraus Verbandmaterial für die verwundeten
Soldaten. Während wir so arbeiteten, kam der Erne, Dr. Eimers Bursche
, der in diesen Tagen mit seinem Herrn auf der Sporeninsel war. „Der
Herr Stabsarzt läßt bitten, sofort eine Rote Kreuzfahne zu schicken. Der
Verbandsplatz wird beschossen". Daß keine da war, wußten wir. Rasch
breitete die junge Frau eines der Bettücher auf dem Boden aus, schritt zu
einer Ecke, wo einige badische Fahnen lehnten, riß von einer den roten
Stoff ab und legte zwei breite Streifen kreuzweise auf das Bettuch. In fliegender
Eile nähten wir am Boden kniend das rettende Zeichen auf. Wie
glücklich waren wir, als tags darauf Dr. Eimer unverletzt zurückkam.

Vielerlei fremde Sachen waren in unsern Hofgebäuden untergebracht:
In der Waschküche kostbares Eigentum eines Juweliers, im Schopf ein Teil
der schönen Einrichtung eines Oberzollinspektors, irgendwo sonst einiges
von Ritterhofers Blechnereiwaren. Im Kuhstall standen die Pferde des Arztes
und einiger Dragoner. Wenn sie Langeweile hatten, fraßen sie aus der
Krippe, die allmählich tief wellenförmig eingeschnitten war. Das Hoftor
stand immer offen, gemütlich war's nimmer in unsrem schönen Hof. Weggekommen
ist nur ein Taschenmesser des Vaters, das er kurze Zeit im Gartenhäuschen
hatte liegen lassen.


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