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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
85. Jahresband.2005
Seite: 367
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Kippenheimer Jüdischdeutsch - Zur Sprache südbadischer Landjuden

367

Auskunft über jüdische Besonderheiten im Wortschatz seiner Familie zu
geben. Daneben konnte auch stichprobenartig die Lautung des deutschen
Anteils seiner Familiensprache erhoben werden. Das Gespräch fand in der
ungestörten Atmosphäre im Nebenzimmer eines Kippenheimer
Cafes am 12. Oktober 2004 statt.

Kurt Maier wurde 1930 als zweiter Sohn einer jüdischen Familie in
Kippenheim geboren. Seine Eltern, Charlotte und Siegfried Maier, betrieben
dort ein Kolonialwarengeschäft. Für die Arbeit im Laden war hauptsächlich
die Mutter verantwortlich, während der Vater als Stoffhändler
über Land fuhr. Obwohl sich schon bald nach seiner Geburt der Nationalsozialismus
in Deutschland durchsetzte, erlebte Kurt Maier zusammen mit
seinem Bruder Heinz eine schöne Kindheit, an die er gerne zurückdenkt.
An diskriminierende Handlungen durch Nichtjuden kann er sich nur in
einem Fall konkret erinnern.

Ob und wie sich seine Sprache von der der nichtjüdischen Klassenkameraden
unterschieden hat, kann der heute 75-Jährige nicht mehr sagen,
zumal er als Folge der Reichsprogromnacht vom 9. auf den 10. November
1939 die jüdische Zwangsschule in Freiburg besuchen musste. Bis zur Deportation
am 22. Oktober 1940 nach Gurs/Südfrankreich verbrachte er von
da an, genau wie sein Bruder, nur noch die Wochenenden bei seiner Familie
in Kippenheim.

Mit zehn Jahren musste Kurt Maier seinen Heimatort verlassen. Für eine
sichere Verwurzelung im Kippenheimer Jüdischdeutsch hätte diese Zeit
wohl kaum ausgereicht, wenn ihm, zusammen mit seiner Familie, nicht
durch Verwandte die Ausreise aus dem Lager Gurs in die Vereinigten Staaten
ermöglicht worden wäre. In New York angekommen, fiel den Eltern
das Erlernen der neuen Sprache sehr schwer. In der Familie wurde daher
nach wie vor „Kippenheimerisch" gesprochen.

Emotional war die Familie noch ganz in Kippenheim verhaftet. Das
zeigte sich beispielsweise daran, dass die dortigen räumlichen Verhältnisse
als Maßstab in der neuen Umgebung herangezogen wurden. Auf die Frage
„Wie weit isch des? Wie weit muss ich do gehn?" konnte die Mutter antworten
: „So weit wie von unserem Haus bis zur Schul." Oder wenn die
Entfernung vom neuen Wohnsitz in New York bis New Rochelles thematisiert
wurde, wurde als Vergleich die Entfernung von Kippenheim nach Offenburg
angeführt. Um die Bewohner von Kippenheim, Juden und Nichtjuden
, kreisten viele Gespräche, so dass Kurt Maier sowohl mit den örtlichen
als auch personellen Gegebenheiten in Kippenheim bestens vertraut war.
Bis zum Tod der Mutter im Jahre 1979, der Vater starb 1958, hatte Kurt
Maier also durchweg Gelegenheit im jüdischdeutschen Idiom seiner Familie
zu bleiben. Mit der neuhochdeutschen Standardsprache ist er bis heute
ständig in Kontakt, da er als Senior Cataloger in der deutschen Abteilung
der Kongress-Bibliothek in Washington arbeitet.


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