Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
85. Jahresband.2005
Seite: 491
(PDF, 123 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2005/0491
491

1938: Die Neumühler Frauen

Stella Dammbach

Widerstand gegen das Regime der Nationalsozialisten im Hanauerland?
Diese Bewertung geht Zeitzeugen zu weit. Aber Auflehnung gegen das so
genannte Dritte Reich hat es gegeben. Neumühl, 1938: Die Kinderschwester
Gertrud Hammann wird mitten aus dem Spiel mit den Kindergartenkindern
gerissen. Auf Geheiß des Bezirksamtes muss der Bürgermeister
der damals 28-Jährigen vor den Kindern eröffnen, dass er sie wegen ihrer
jüdischen Abstammung sofort entlassen müsse und der Kindergarten zu
schließen sei. Fünf Jahre hatte sie davor zur Zufriedenheit der Neumühler
Frauen, insbesondere des Evangelischen Frauenvereins, und in guter und
vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem damaligen Bürgermeister in
dieser Einrichtung gearbeitet. Die Diakonisse und ihr Mutterhaus in
Mannheim hatten Stillschweigen bewahrt über den Vater Gertrud Hammanns
, ein Jude, der zum evangelischen Glauben übergetreten war.
„Irgendein Menschenkind vom Ort hat meine halb(!)-jüdische Abstammung
entdeckt und an entsprechender Stelle bekannt gegeben", schrieb
Hammann in ihren Erinnerungen. Und sie berichtete weiter: „So wie damals
, als ich in den Ort kam, von den Frauen im geschmückten Landauer
abgeholt, so begleiteten sie mich jetzt an die Bahn, wo ich zurück in mein
Mutterhaus fuhr."

Die Neumühler Frauen waren erzürnt. Und sie wollten Gertrud Hammann
ihr Mitgefühl und ihre Solidarität demonstrieren. So fuhren etwa
sechs Wochen nach der Entlassung der Kinderschwester 45 Frauen des
Evangelischen Frauenvereins Neumühl nach Mannheim, um „ihre" Kinderschwester
zu besuchen. Nach einer Schlossbesichtigung scharten sich
die Neumühlerinnen zum Gruppenbild um Gertrud Hammann. Das Bild
hatte Folgen: Jemand spielte es der nationalsozialistischen Zeitung „Der
Stürmer" in die Hand, der es mit der Unterschrift „Artvergessene deutsche
Weiber besuchen eine Jüdin und lassen sich mit ihr fotografieren" veröffentlichte
. In jenem Artikel hetzte „Der Stürmer": „Es ist ein Skandal, dass
sich heute noch deutsche Frauen in so schandbarer Weise zu Judengenossinnen
erniedrigen."

In diesem Bericht heißt es auch, dass die Neumühlerinnen die von den
Nationalsozialisten eingesetzte Kindergärtnerin „boykottieren, wo sie nur
können". Das aber sahen Zeitzeugen anders. Hans Köbel, inzwischen verstorbener
Sohn der damaligen Vorsitzenden des Neumühler Frauenvereins,
betonte in einem Gespräch: „Die Landfrauen waren doch froh, dass sie ihre
Kinder dort unterbringen und in Ruhe auf den Feldern arbeiten konnten."


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2005/0491