Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
85. Jahresband.2005
Seite: 493
(PDF, 123 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2005/0493
1938: Die Neumühler Frauen

493

Doch Gertrud Hammann konnte dem Zugriff der Nationalsozialisten
durch ihre Flucht über das Elsass bis nach Südfrankreich nur für kurze Zeit
entgehen. Denn bei Beginn des Frankreichfeldzuges im Mai 1940 wurden
alle Deutschen interniert, die in Frankreich lebten, und so kam Gertrud
Hammann ins Camp de Gurs am Fuße der Pyrenäen. In den letzten Oktobertagen
dieses Jahres kamen die badischen Juden ebenfalls in dieses Lager
. Die Kinderschwester erreichte, dass ihr eine leer stehende Baracke zur
Verfügung gestellt wurde, in der sie mit den jüdischen Kindern sang und
spielte. Sogar vor das Lager in den angrenzenden Wald durfte sie mit ihnen
. Und sie brachte ihnen „ein bisschen von meinem spärlichen Französisch
" bei, wie sie bei einem Gespräch mit der evangelischen Zeitschrift
Aufbruch erzählte. Im Dezember 1940 wurde Gertrud Hammann aus Gurs
entlassen dank der Fürsprache des Leiters des Konservatoriums von Montpellier
, der für die junge Frau eine Bürgschaft übernahm und sie nach ihrer
Entlassung bei sich aufnahm. In jenem Winter starben im Lager Gurs 800
Menschen. Ab August 1942 wurden die Überlebenden nach und nach in
die Konzentrationslager des Ostens deportiert. Die Kinderschwester aus
Neumühl war einige der wenigen Überlebenden dieses Lagers.

Die Verbundenheit mit den Neumühler Frauen blieb auch nach Ende des
Zweiten Weltkrieges bestehen. Gertrud Hammann kehrte 1947 nach
Deutschland zurück und arbeitete als Landesfürsorgerin im Dienst der Badischen
Landeskirche. 1955 wurde sie mit der Geschäftsführung des Evangelischen
Frauenwerks in Karlsruhe betraut. Vor etwa 20 Jahren, so erinnert
sich die Neumühlerin Lisa Scholz, die bei Gertrud Hammann den
Kindergarten besuchte, hat Hammann in Neumühl eine Predigt gehalten.
Und in Gesprächen hat sie von ihrem Schicksal und jenem der nach Gurs
deportierten badischen Juden erzählt.

Gertrud Hammann starb in der Nacht des 12. Juni 1990 in Karlsruhe.
Zeitzeugen jener Ereignisse im Jahre 1938 in Neumühl gibt es kaum noch.
Die Geschichte der mutigen Neumühler Frauen und des Schicksals der Diakonisse
Gertrud Hammann darf nicht in Vergessenheit geraten. Hammann
selbst hat sich nach eigenem Bekunden nie ein anderes Leben gewünscht.
Sie sei dankbar dafür, dass die Selbstsicherheit der jungen Diakonisse, die
sie damals war, so gründlich zerbrochen worden sei. Daraus habe sie ein
neues Verständnis für ihre Mitmenschen entwickelt, habe Toleranz gelernt.
Das Gruppenbild der 45 Neumühler Frauen, die sich aus Solidarität um
Gertrud Hammann geschart haben, existiert bis heute und wird zumindest
in der Familie von Lisa Scholz und des verstorbenen Hans Köbel noch immer
in Ehren gehalten. Eine Reproduktion davon ist im Besitz des Hanauer
Museums in Kehl.


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2005/0493