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Uwe Schellinger/Gerhard Mayer
(Knochen-, Gelenk- und Muskelschmerzen) Hilfe. Beide Symptomgruppen
machten zusammen über 50 Prozent aller registrierten Erkrankungen aus.
Zudem fand Schleip heraus, dass überwiegend chronische Krankheiten der
Grund für den Gang zum Heiler waren: Über die Hälfte der Befragten war
zuvor schon mindestens fünf Mal bei einem allgemeinen Arzt gewesen,
hatte also schon eine längere Krankheitsgeschichte hinter sich.76 Der größte
Teil der Befragten ließ wissen, dass ihnen die Existenz des von ihnen
konsultierten Heilers schon seit längerem bekannt war. Fast 60 Prozent der
Hilfesuchenden hatten durch einen anderen Patienten von Webers Behandlungen
Kenntnis erhalten. Daneben profitierte gerade Weber von der Berichterstattung
zu seiner Person in den Massenmedien, denn fast ein Drittel
seiner Patienten hatte durch eine Zeitungsmeldung von ihm erfahren.77
Eine wichtige Frage ist schließlich, inwieweit der Heiler tatsächlich imstande
war, seinen Klienten zu helfen. Dies versuchte Schleip durch eine
Nachbefragung in Erfahrung zu bringen, die einige Wochen nach dem
jeweiligen Besuch beim Heiler durchgeführt wurde. Im Fall Webers ergab
diese Untersuchung, dass von 465 nachbefragten Personen immerhin rund
70 Prozent angaben, ihre Beschwerden hätten sich „etwas gebessert" (36,1
Prozent), „stark gebessert" (27,7 Prozent) oder seien sogar ganz verschwunden
(5,4 Prozent). Über zwei Drittel der Patienten Webers war also
in der Lage, eine Besserung zu vermelden.78 Es bleibt somit der Befund,
dass bemerkenswert viele Hilfesuchende mehr oder weniger große Erfolge
durch das Zusammentreffen mit Weber vermelden konnten. Dieses überraschend
positive Ergebnis zum Interaktionsprozess zwischen einem
„Wunderheiler" und seinen Klienten wird inzwischen durch weitere Studien
auch neueren Datums gestützt.79
Der Fall Weber im historischen Vergleich
Vorläufer im regionalen Kontext
In der regionalen Geschichte hatte Josef Weber mit seinem Wirken als
„Wunderheiler" im ländlichen Umfeld zahlreiche historische Vorläufer im
19. und 20. Jahrhundert. Sowohl für den gesamtbadischen Raum als auch enger
begrenzt für die Region Ortenau legen die Biographien verschiedener bekannt
gewordener Laienheiler die Vermutung nahe, dass die Bereitschaft von
Teilen der Bevölkerung, zur Behandlung von Krankheiten unorthodoxe Methoden
anzuwenden, eine historische Konstante darstellt. Recht gut erforscht
ist beispielsweise das Wirken des Landpfarrers Ambrosius Oschwald
(1801-1873) aus dem Ort Hammereisenbach bei Furtwangen, der sich in den
1840er Jahren zur Leitfigur einer christlich-fundamentalistischen Sekte ent-
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