Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
86. Jahresband.2006
Seite: 141
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Der Arzt, der kein Mörder war

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mir schon klar darüber, wo dieser Mann von 1938 bis 1941 gearbeitet und
was er dort getan hatte. Wußten wir nicht, dass in Auschwitz Versuche an
Menschen gemacht wurden6 und sich so manche wissenschaftliche Arbeit
hinter dem furchtbaren Elend von Menschen abgespielt hatte?" Der Landarzt
erfährt nun von der Hausfrau, was diese schon „vor ein, zwei Jahren
beim Umgraben vor dem Hundestall gefunden hatte": „Eine ganze Menge
offener Kniegelenke von gesunden Patienten oder besser von Sträflingen
mit noch sichtbaren, gestreiften Kleidern. Unsteril operiert, keine Desinfektion
oder vorherige Jodierung der Kniegelenke, alles an Lebenden" -
warum hält diese medizinische Expertin keine Vorträge an der Universität
in Freiburg über die Auswertung von Fotos? Sie schuftet stattdessen als
Dienstmädchen, zieht mit Eimer und Besen durchs Haus.

Der Erzähler - „ich war noch ein Junge, der sich nicht vorstellen konnte
, was da in Auschwitz an Unrechtem fotographiert worden war" - ahnt
nur Schlimmes. Er tut, was so viele taten. Er vergisst „diese Geschichte für
lange Zeit". Erst viel später, als auch ihn „das medizinische Fieber gepackt
hatte", holt er die Blechschachtel, nimmt die „ungefähr 50 belichteten
Filmpatronen" heraus und betrachtet sie. Irgendwann will er die Filme „alle
einmal ansehen und entwickeln, wenn ich erst größer wäre" (25). Wichtig
war zunächst nur, „Dr. Burkhardt kam nie wieder und erst viel später
war eine Notiz in der Ärztezeitung zu lesen, dass er wegen seiner Verstrickung
in medizinische Versuche an Juden und Gefangenen in Auschwitz7
die Approbation verloren hatte und freiwillig aus seinem Leben schied."

Es ist alles frei erfunden. Lediglich den Bahnhof und die Arztpraxis gibt
es in Hornberg. Und welchem NS-Arzt wurde jemals später die Approbation
entzogen?8 Sie betrieben nicht nur Privatpraxen oder machten Karriere
an den Universitäten, sondern sie besetzten auch Leitungsposten in Ärzteverbänden
.9 Sie scheuten auch nicht davor zurück, vor Gerichten als Gutachter
aufzutreten, selbst in ihrem einstigen Wirkungsfeld. Das waren dann
die „Wiedergutmachungsprozesse" ihrer einstigen Opfer. Lediglich einem
RAF-Angeklagten blieb es vorbehalten, die Vergangenheit des vom Gericht
bestellten Gutachters in Frage zu stellen.10

Der SS-Arzt aus Hornberg

Es gab tatsächlich einen Arzt in Hornberg, der im Krieg einen hohen SS-
Rang hatte. Dr. Gustav Ortmann, geboren 1904 in Gelsenkirchen, war an
Krankenhäusern in Berlin, Tuttlingen und Freiburg tätig, bevor er als Facharzt
für Chirurgie im Februar 1937 ärztlicher Leiter des Städtischen Krankenhauses
in Hornberg wurde. Kurz danach heiratete er Esther Howaldt
aus Kiel. Aus seinen SS-Akten geht nirgends hervor, dass ihr Vorname Anstoß
erregt hätte.11 Auch das Ehepaar sah keinen Anlass, den unzeitgemäßen
Namen zu ändern. Noch Ende 1944 lautete die Heimatanschrift der


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