http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2006/0283
Leben mit zwei verschiedenen Zeiten
283
Abb. 9: Illustration zur Aderlass-
Tafel aus dem Taschenkalender
für das Jahr 5545 (1784/1785)
Messen halfen ihnen bei der Planung ihrer Reiseroute. Mithilfe der Hinweise
auf die christlichen Feiertage konnten sie sich überdies rechtzeitig
über die Tage informieren, an denen sie nicht hausieren gehen durften.
Schließlich unterstützten die Kalender die Händler auch bei der Ausübung
ihres Glaubens. Die Angaben zu den Gebetszeiten, zum Schabbat und zu
den jüdischen Feier- und Fasttagen erleichterten es ihnen, den eigenen
Glauben vorschriftsmäßig zu praktizieren.31
Die Kalender, die in der Schmieheimer Genisa geborgen wurden, gehören
zu den wenigen Unterlagen aus dem Privatbesitz der einst in der Ottenau
ansässigen jüdischen Händler, die heute noch vorhanden sind.32 Als rare
authentische Zeugnisse des jüdischen Alltagslebens sind sie für die regionalgeschichtliche
Forschung und für die gedenkpädagogische Arbeit
von hohem Wert. Allerdings ermöglichen diese Quellen für sich genommen
nur sehr begrenzte Einblicke in das soziale und wirtschaftliche Leben
der jüdischen Landgemeinde.33 Wie der Gebetbuchbestand aus der
Schmieheimer Genisa ist auch die Existenz der Kalender ein Beleg für die
Lese- und Sprachkompetenzen der jüdischen Dorfbevölkerung im 18. und
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2006/0283