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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
88. Jahresband.2008
Seite: 126
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Martin Ruch

Totenbrauchtum

Mit Sorgfalt und großem Respekt behandeln die Juden ihre Toten. „Nach
jüdischem Verständnis endet die Heiligkeit des Menschen nicht mit dem
Tod. Die Gesetze und Bräuche rund um Tod und Trauer haben den Zweck,
die Würde des menschlichen Geistes zu stärken. "77

Der Leichnam wird nicht allein gelassen. Es muss jemand da sein, der
bis zur Beerdigung bei dem Verstorbenen sitzt und Psalmen aufsagt. Eine
solche Person heißt schomer (Wächter).

Frau Schnurmann schrieb an ihren Sohn Siegfried:

„Offenburg, 17.5.1938 (...) Diese Woche hatte ich wieder Nachtwachen.
Frau Rosenstiel, die 87jährige Mutter von Frau Tannhauser ist gestorben.
Sie hat es ihnen ganz leicht gemacht; war nur drei Tage gelegen. Ein
Glück, daß ihr das Siechtum erspart blieb. "78

Und Siegfried Schnurmann meinte: „Es gibt ja bei uns die Totenwache, der
Tote soll nicht allein bleiben. Die Waschung selbst wird entweder zu Hause
vorgenommen oder in einem besonderen Waschraum; in Offenburg hat es
damals einen solchen nicht gegeben. Nach der Waschung wird der Tote
eingekleidet mit Totenhemd, Mütze, Hose, alles in Weiß, auch weiße
Strümpfe, weiße Kippa. Dazu den Tallit (Gebetsschal), der mit in den Sarg
gelegt wird, und zwar so, daß die Schaufäden heraushängen. In Freiburg
war ich (nach 1945) allein, habe das 25 Jahre allein gemacht, um die
Bräuche zu erhalten. "79

Die ersten sieben Tage nach dem Tod (schiwa = sieben) gelten als erstes
Stadium der tiefen Trauer. Während dieser Zeit des „Schiwa-Sitzens" benutzen
die Juden zum Sitzen keine Stühle, sondern Schemel oder Kissen,
die auf dem Boden liegen.

Clementine Neu berichtet in ihrem Tagebuch von den Trauertagen für
ihren Vater: „30.12.1931. Eben komme ich von Wangen, wo wir die acht
Tage um den Tod des lieben Papas (Ludwig Wolff-Picard, 1850 in Wangen
geboren) gesessen sind. Ich habe ihn noch einmal gesehen. Zum letzten
Mal unseren guten lieben Papa, der sich so unendlich immer freute, wenn
ich heim kam. Ganz unverändert war das liebe Gesicht, er ist schmerzlos
entschlafen. Es war in diesen Tagen so viel Gefühl der Zusammengehörigkeit
und selbst Natus hat diese acht Tage gehalten, wie ein frommer
Mann. "80

Am 28.11.1938 erging die Anweisung des Offenburger Oberbürgermeisters
, „daß die Bewachung von Judenleichen in der städtischen Leichenhalle
durch Juden mit sofortiger Wirkung einzustellen ist. Falls zurzeit
eine solche Bewachung stattfindet, ist sie sofort aufzuheben. Einem etwaigen
Einschreiten der SS sind nicht nur keine Schwierigkeiten zu bereiten,


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