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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
89. Jahresband.2009
Seite: 538
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Autor

che und dort in eine jüdische Schule gehen. Erst am Freitag kam ich mit meiner Schwester
Myriam nach Hause zur Mutter zurück, die schon über ein Jahr allein war. Vater hatte
Deutschland verlassen, nachdem er im November und Dezember 1938 im KZ Dachau eingesperrt
worden war. Von England aus versuchte er auch uns rauszuholen. Doch der Kriegsbeginn
im September 1939 machte das unmöglich, wir saßen fest, gefangen im eigenen Land.

Also dieser Deportationszug kam am 22. Oktober 1940 von Offenburg her in Freiburg
nachts um 2 Uhr an. Ich hörte, wie jemand aus dem Zugfenster rief: Eva Cohn mit Zöpfen
wird gesucht! So fand ich schließlich meine arme Mutter wieder in einem Abteil mit meiner
Schwester Myriam, die 12 Jahre alt war, ich war damals noch nicht zehn Jahre alt. Wie
Mutter zu Hause in Offenburg noch gepackt hat für uns, obwohl wir nicht bei ihr waren,
das ist mir heute noch ein Rätsel.

Der langsame Zug war 3^f Tage unterwegs nach Süden. Immer wieder wurde er auf
Wartegleise gestellt, bis er weiterfahren konnte. Mutter hatte zwar ein wenig Proviant dabei
, der aber nicht ausreichend war für uns drei.

Es gab manchmal Streit unter uns Kindern, wer oben im Gepäcknetz schlafen durfte.
Dort war die einzige Möglichkeit, sich einmal ausstrecken zu können - bis ein anderes Kind
an die Reihe kam und dort liegen durfte. Und wir waren viele Kinder, ich erinnere mich an
die Offenburger: die beiden Hammel-Buben Kurt und Rudolf 12 und 10 Jahre alt, an Susi
Greilsheimer, die am 24 .Oktober, also noch unterwegs im Zug ihren 14. Geburtstag feierte,
an Ellen und Renate Haberer, 3 und 8 Jahre alt, an Erich Weil, 14 Jahre, und andere. Auch
in Erinnerung an sie stehe ich heute hier vor dem Zug der Erinnerung."

Meine Mutter Sylvia hat übrigens in einem ihrer letzten Gedichte diese Zugfahrt nach
Gurs beschrieben mit diesen Worten: ,So führten dunkle Züge durch rabenschwarze Nacht I
in unbekannte Ferne gar traur'ge Menschenfracht. I Wir fuhren und wir fuhren der Tag und
Nächte viel I durch Frankreichs schöne Gauen. Da endlich kam das Ziel...'

Ein letztes Mal musste Mutter dann 1942 in einen Zug steigen. Er brachte sie nach einem
Zwischenstop in Drancy bei Paris direkt nach Auschwitz. Auch meine älteste Schwester
Esther wurde dort zwei Jahre später getötet. Auch ihr Zug fuhr fahrplanmäßig und so
furchtbar pünktlich auf der Rampe in Auschwitz ein.

Zug der Erinnerung im Bahnhof Offenburg, 23.3.2009


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