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160 Eugen Hillenbrand

vorhandene Textzeuge, die Brüsseler Handschrift, wurde erst in
den fünfziger Jahren des 15. Jahrhunderts geschrieben. Ob der
Jesuitenpater Gamans diese Handschrift zwei Jahrhunderte später
dem Offenburger Pfarrer vorlegte, ist fraglich. Sein Hinweis auf
den Umfang des Codex („Fünfzig Quaternionen") trifft auf die
Brüsseler Handschrift nicht zu, die insgesamt 363 Blätter umfasst,
von denen wiederum 106 das Gnadenleben Gertruds vor dem
Leser ausbreiten. Genauer müsste man wohl sagen: vor den Hörerinnen
. Denn das Buch ist zum Vorlesen geschrieben worden:
Got wirkte vil jor vor irme tode vil wunderlicher werk mit ir, der ir ouch
ein teil werdent hoerende.12 Der Text ist nicht an eine Leserin gerichtet
, die sich in eine erbauliche Erzählung vertieft, sondern an
eine Hörerschaft, die einer Vorleserin lauscht, entweder bei Tisch
oder bei sonstigen Zusammenkünften im Hause. Der Bericht soll
Gemeinschaft stiften.

Die Burg als Lebensraum Gertruds von Ortenberg

Die Vita beginnt gleich in der Form einer volkstümlichen Legende
: Es wz ein biderber (tüchtiger) ritter gesessen uf einer bürge, die
heisset Ortenberg und lit nohe by einer stat, heisset Offenburg. Der
ritter hatte ein eliche frowe und etwie manig kint by der, beide knaben
und doechter. Nuo starp dem ritter sin frowe. Do geschach es also, dz
der ritter nam ein ander eliche frowe, die wz vil besser und edeler denn
die erste, wenn sü wz friges gesiebtes. Von den fügen von Wildenstein
wz sü bürtig. Nuo gap unser lieber herre dem ritter und der frowen ouch
etwie manig kint miteinander, und besunder ein toechterlin, ein kint,
dem unser herre in allem sinem leben und durch alles sin leben gar
heimlich (vertraut) ist gewesen.13

Die wenigen Eingangssätze umreißen die lokale und familiäre
Situation der Heldin unserer Geschichte: eine Burg in der Nähe
einer Stadt. Die Menschen, die hier leben, sind ständisch definiert
. Ein Ritter aus dem Dienstadel heiratet in zweiter Ehe eine
Frau aus dem freien Adel.14 Das Töchterlein Gertrud ist dadurch
ausgezeichnet, dass Gott ihm während des ganzen Lebens eng
verbunden bleibt.

Als das Mädchen sieben Wochen alt war, starb der Vater. Die
Kinder aus der ersten Ehe machten der Witwe das Leben schwer,
sodass sie nach zwei Jahren nach Wildenstein im Donautal zurückkehrte
, wo sie bald darauf starb. Ihre Kinder durfte sie nicht
mitnehmen.

In Ortenberg erlebte Gertrud eine harte Kindheit. Zuerst
wurde sie gegen Entgelt an Bauern in der Nachbarschaft gegeben,
einem geburen nach dem andern. Dann nahmen die Stiefgeschwister
das Mädchen wieder heim auf die Burg und zugend es do gar
hertiklich und ungütlich. Seine Reaktion: es sprach jahrelang kein


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