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Ursula Flügler
ODE I, 9
Siehst du, wie hoch dort mit Schnee bedeckt aufragt der weiße
Soracte, wie ächzend kaum noch die Last
die Wälder ertragen und wie vom beißenden Frost
die Flüsse zum Stillstand gefroren?
Löse die Kälte auf leg reichlich Holzscheite nach auf den Herd
und hole freundlich mehr von dem vierjährgen
Wein im Sabiner Doppelgriffkruge hervor,
mein Thaliarchos.
Überlaß alles weitre den Göttern: Sobald sie
die wild um die schäumende Weite des Meeres
kämpfenden Winde beruhigt, stehn die Zypressen
ganz unbewegt still wie die alten Eschen.
Was morgen sein wird, meide zu fragen,
jeden der Tage, die das Schicksal dir schenken mag, acht als Gewinn,
verschmähe nicht, Knabe, die süßen Freuden der Liebe,
bleibe den Tänzen nicht fern, du,
solang deine grünfrische Jugend den Starrsinn des Graukopfs nicht kennt
Jetzt: das Marsfeld, die Plätze der Stadt,
das freundliche Raunen und Plaudern im Eingang der Nacht,
setze sie fort zur vereinbarten Stunde.
Jetzt: aus dem hintersten Winkel das lockende Lachen
des Mädchens, das sich versteckt und verrät,
das Pfand ihr vom Arme gestreift
oder vom Finger, der es nur scheinbar verwehrt.
Winfried Tilmann
Ursula Flügler, Ernst-Batzer-Straße 20, 77652 Offenburg
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