Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
93. Jahresband.2013
Seite: 258
(PDF, 86 MB)
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258 Stefan Woltersdorff

len, dass ich Dir an einem der Schultische schreibe, alle meine
Sachen um mich, Tabak, Feuerzeug, Zigaretten - mein Roman in
Reichweite (...). Meine Kumpane sind an anderen Pulten ebenfalls
in ihre Beschäftigungen vertieft, Lesen, Schreiben, Nähen oder
Zeichnen. Der Stabsfeldwebel am Lehrerpult liest mit hochgezogenen
Augenbrauen, gekräuseltem Mund und einem Ausdruck extremen
Eifers einen Kriminalroman, den ich ihm gegeben habe.
Die zwei Wandtafeln sind von Sinuskurven bedeckt, weil er seinen
Gehilfen manchmal die Geheimnisse der Artillerie erklärt.
Man könnte meinen, wie Du siehst (abgesehen von den Sinuskurven
), es handle sich um ein Rehabilitationszentrum für geistig
Behinderte wie Ville-Evrard. Nur eine Gasmaske, die neben einem
unanständigen Gekritzel auf einem Tisch liegt (die dem Stabsunteroffizier
gehört), gibt dem Zimmer einen Anstrich von surrealistischer
Ausstellung. Dort bin ich den ganzen Tag.

(Sartre: Briefe, S. 361)

Schon bald war Sartre des beengten Lebens in der Schule überdrüssig
und mietete sich wieder ein eigenes Zimmer, diesmal
bei einer Madame Vogel. Auch sonst war er bemüht, seinen
Lebensstil aus Friedenszeiten wieder aufzunehmen, in dem
Cafes und Restaurants eine wichtige Rolle spielten: Sein Frühstück
nahm er im Restaurant de la Rose ein, dessen hübsche
Bedienung er schätzte. Zu Mittag aß er meist im Lion d'Or,
nachmittags trank er seinen Kaffee in der Taverne du Cerf, ab
November (nach einem Streit mit der Wirtin) in einem Hinterzimmer
des Restaurants de l'Ecrevisse, wo ihn zwei hübsche
Bedienungen bezauberten. Wie weit diese Bekanntschaften
gingen, verrät der Dichter nicht. In dem oben zitierten Brief
erwähnt er allerdings, dass sich zahlreiche Lokale in Bordelle
verwandelt hätten und „Venus in unseren Reihen bisher viel
mehr Schaden angerichtet" habe als Mars. Abends schließlich
besuchte Sartre bisweilen Theater- und Variete-Aufführungen,
etwa die der „Maginot Boys".

Die Taverne du Cerf und das Restaurant de l'Ecrevisse ersetzten
Sartre damals die Literatencafes von Paris: Hier las er deutsche
und französische Bücher, die er sich weiter von Simone de
Beauvoir schicken ließ, hier schrieb er das Essay VHomme ligote
(über seinen Schriftsteller-Kollegen Jules Renard), hier arbeitete
er an den letzten Kapiteln seines Romans Vage de raison und an
den ersten seines philosophischen Hauptwerks Vetre et le neant.
Und natürlich verfasste er hier auch viele Briefe an seine Pariser
Freundinnen, vor allem an Simone de Beauvoir.


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