Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
93. Jahresband.2013
Seite: 266
(PDF, 86 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2013/0267
266 Stefan Woltersdorff

uns durch: Wir kommen in Baccarat an!" Die Männer sind erschöpft
, die Sonne brennt in ihren Augen, sie wiederholen folgsam
: Baccarat, Baccarat, aber es ist ihnen egal. „Baccarat, das
sind Spitzenwaren?" „Nein", sagtBrunet, „das sind Kristallwaren
". „Ah!" sagt Blondinet mit einer Mischung aus Gleichgültigkeit
und Respekt in der Stimme. „Ah! Ah!" Die Stadt ist schwarz
unter dem blauen Himmel, die Gesichter trüben sich ein, einer
sagt traurig: „Komisches Gefühl, eine Stadt zu sehen." Sie gehen
über eine verlassene Straße; Glassplitter türmen sich auf
den Gehwegen und der Fahrbahn. Blondinet lacht auf, zeigt mit
dem Finger darauf und sagt: „Da sind sie, die Kristallwaren von
Baccarat."

(Sartre: Mort, S. 298f.; Ü: S.W.)

Tatsächlich war und ist Baccarat für sein Bleikristall weltberühmt
. Die „Cristallerie de Baccarat" geht auf eine 1764 gegründete
Glaswerkstatt zurück, die damals der Importware aus
Böhmen Konkurrenz machen sollte. Keine hundert Jahre später
gingen in Baccarat Bestellungen von Königen und Kaisern,
Sultanen und Zaren ein. Der letzte russische Zar Nikolaus II.
besuchte den Ort 1896 sogar persönlich. In seinem Roman Les
Forets de la nuit (1947) hat Jean-Louis Curtis (1917-1995) die
Geschichte des Baccarat-Glases literarisch verarbeitet.

Sartre hingegen wurde Zeuge einer anderen Geschichte: Bei
Kriegsausbruch war in Baccarat zunächst ein Mannschaftslager
für britische Soldaten eingerichtet worden. 1940 wurde es von
der deutschen Wehrmacht übernommen und in ein Zwischenlager
für ca. 7000 französische Kriegsgefangene umgewandelt
(andere Quellen sprechen von bis zu 30000 Internierten). Auf
seinem Weg durch den vom Krieg zerstörten Ort ins Lager hat
Sartre wohl auch das Flüsschen Meurthe überquert:

Eine Brücke; die Kolonne macht halt; tausende Augen sind auf
den Fluss gerichtet: Fünf nackte „Fritze" (Spottname für die Deutschen
; Anm. des Übers.) spielen im Wasser, spritzen sich an und
stoßen dabei kleine Schreie aus; 20000 graue und in ihren Uniformen
schwitzende Franzosen betrachten diese Bäuche und
Schenkel, die zehn Monate lang von einem Wall aus Kanonen
und Panzern geschützt wurden und die sich nun in einem Akt der
stillen Ungehörigkeit frei zur Schau stellen. Das war es also, nur
das: ihre Sieger, das war dieses weiße, verletzliche Fleisch. Ein
dumpfer, tiefer Seufzer zerreißt die Menge. Sie haben ohne Wut
die Parade der siegreichen Armee auf ihren ruhmreichen Panzern
über sich ergehen lassen; aber diese splitternackten Fritze, die im
Wasser Bocksprünge machen, das ist eine Beleidigung. Lambert


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2013/0267