Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
96. Jahresband.2016
Seite: 263
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Fremde Heimat

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gerichtet. Noch waren die russischen Truppen nicht bis zur
Ostseeküste vorgestoßen. Es gab noch Schlupflöcher, um nach
Westen zu entkommen. Straßen und Wege waren allerdings
mit Fuhrwerken und Fahrzeugen heillos verstopft. Rundherum
wurde geschossen. Immer wieder gab es brenzlige Situationen
mit dem Feind. Wegen der Flugzeuge zogen sie meist nur
nachts weiter und versteckten sich im Wald. Manchmal durften
sie bei fremden Leuten unterkommen. Ums Essen wurde
gebettelt oder eben „organisiert". Die Angst war groß. Über
Stettin und Mecklenburg erreichten sie Schleswig-Holstein, wo
dann 1947 der Vater aus französischer Gefangenschaft zur Familie
stieß. Minna Faltin aus Spechtsboden, ganz im Osten
von Masuren gelegen, pflegte gelegentlich zu sagen: „Wir
haben viele Schutzengel gehabt. Das Unglück hat uns auch
noch Glück gebracht." Für die alleinstehende, dreifache Mutter
, der Ernährer galt als vermisst, muss die Flucht eine schier
unlösbare Aufgabe gewesen sein: Tochter Edith war durch eine
Behinderung in der Bewegung eingeschränkt und der jüngere
Sohn Herbert wurde durch Fliegerbeschuss am Unterschenkel
verletzt. Die Mutter magerte auf der Flucht stark ab. Das wenige
, was sie zur Verfügung hatte, steckte sie den Kindern zu.

Die Deutschen in Böhmen und Mähren wurden Opfer einer
„wilden Vertreibung" zwischen Kriegsende, der Verabschiedung
des Potsdamer Abkommens im August 1945 und der „regulierten
Vertreibung" danach, die im Wesentlichen 1948 abgeschlossen
war. Zeitzeugen vor Ort waren Josef Makowitschka
und Milan Strach mit ihren Familien. Von tschechischer Seite
gab es Ausschreitungen, brutale Misshandlungen und Morde.
Hunderttausende wurden interniert und in Arbeitslagern festgehalten
. Das war die hasserfüllte Antwort eines Teils der Tschechen
auf den brutalen Terror, den der stellvertretende Reichsprotektor
Heydrich ab Herbst 1941 gegen das tschechische Volk
richtete. Makowitschka aus dem Egerland und Strach aus dem
Isergebirge stammend, haben ähnliche Schicksale durchgemacht
. Bevor der tschechische Mob sich über die Deutschen
hermachte, kam erst einmal das russische Militär. Die Russen
waren angenehmer als die Einheimischen. Dem Josef, 14 Jahre
alt und noch beim Jungvolk, setzte ein Partisan die Pistole auf
die Brust und nahm ihm die Wohnungsschlüssel weg. Die Wohnungen
wurden geplündert, Gegenstände auf die Straße geworfen
, und dann versiegelt. Nur mit dem Nötigsten auf einen
Leiterwagen oder Schlitten gepackt, zwang man die Obdachlosen
zu Tausenden in Internierungslager. Offiziell durfte Deutsch
nicht gesprochen werden und weiße Armbinden wurden verlangt
. Bei Unterlassung gab es Prügel oder Arrest. Die Unter-


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