http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-1984-4/0097
Ein Leben zwischen
Koppel, Hund,
Esel und Schafen ...
Begegnung mit einem Wanderschäfer
Von Romantik merke er nicht viel bei seinem
»Geschäft«. Im Gegenteil: Schon
seit Jahren spüre er es im Kreuz - aber er
müsse trotzdem bei Wind und Wetter
draußen sein und habe nicht einmal
Zeit, zum Doktor zu gehen.
Emil Strähler spricht so: ein Wanderschäfer
von der Alb, der zur Zeit in
Kenzingen stationiert ist. Solange es
ihm denk, war sein Leben von der Schäferei
bestimmt. Schon als Bub hat er
Schafe gehütet. Den Wunschtraum,
Schmied zu werden, mußte Emil Strähler
bald aus gesundheitlichen Gründen
aufgeben.- So verschrieb er sich eben
der Schäferei und dem einsamen Leben
zwischen Koppel, Hund und seiner Herde
.
Abb. 1: »Urig« würden viele sagen, wenn Sie
Emil Strähler begegneten. Sein Gesicht ist gezeichnet
vom Leben draußen in der Natur, von
Wind und Wetter. Vielleicht ist es das, was viele
am Schäferberuf heute wieder so fasziniert.
»Für Schäfer ist in dieser Welt kein Platz mehr«
»Die Leute kommen immer und meinen, das sei so romantisch; draußen an der frischen
Luft mit den Schafen ... aber ich hab bald genug von diesem Leben.« Emil Strähler gibt
offen zu, daß er nur noch mit Widerwillen »auf Tour« geht und dieses Wanderleben
ziemlich überdrüssig hat.
»Es ist halt auch nichts Schönes mehr«, meint er. Der viele Verkehr, die Hetze und Ungeduld
der Autofahrer - das sei ihm schlichtweg ein Graus. »Für unsereiner ist hier kein
Platz mehr. Alles wird verbaut, zubetoniert und umgefahren.«
Schon seit '49 komme er ins Badische, auf die Winterweide. Damals gab es noch viele
Wiesen rund um Freiburg - wo heute die Hochhäuser und Industriegebiete stehen. Bis
nach Kenzingen habe er sich jetzt zurückgezogen. Aber mittlerweile gibt es auch hier immer
weniger Wiesen, immer weniger Platz für ihn und seine »Schäf«.
Die Schafe kennen keinen Feiertag
Daß die Schäferei immer schwieriger wird, liegt nicht allein an der Zersiedlung und Verbauung
, am Verkehr und dem zunehmenden Ackerbau. »Es will auch niemand mehr die
Arbeit machen«, sagt Emil Strähler. Wohl ein paar Wochen oder Jahre - aber ein Leben
lang wie er ! -
Für die meisten Schäfer gibt es weder Wochenenden, noch Urlaub. Dazu kommt die lange
Trennung von der Familie. »Ich bin nur zehn Wochen im Jahr daheim«, sagt Emil
Strähler. Seit seiner über zwanzigjährigen Ehezeit habe er nur einmal Ostern mit seiner
Frau verbracht - sonst immer auf einsamer Flur bei den Schafen und dem Hund.
»Die Schäf brauchen einen halt. Auch an den Feiertagen, in der Nacht und sogar manchmal
zwanzig Stunden am Tag.« Bei Wind und Wetter muß Emil Strähler draußen sein,
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