Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
4. Jahrgang.1984
Seite: 106
(PDF, 33 MB)
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herausgehoben und hatten teil am Stadt-Frieden, der auch ihren Haus-Frieden sicherte. Gab es unter
ihnen Meinungsverschiedenheiten oder Streit, dann konnten sie sich an eine eigene, unabhängige Instanz
, das Stadtgericht, wenden. Als Zeugen waren hier nur die Büger zugelassen, keine Fremden. Die
Urteilsfindung lag bei den Geschworenen, die aus der Bürgerschaft heraus gewählt wurden. Ein Beamter
des Stadtherrn, der Schultheiß, führte den Vorsitz. Er wird in der Urkunde einmal erwähnt im
Zusammenhang mit einem zweiten Bereich, worin sich bürgerliche Freiheit verwirklichen konnte, im
Erbrecht. Starb ein Bürger, so ging sein gesamtes Vermögen an Frau und Kinder über. Nichts davon
mußte zum Zeichen der Abhängigkeit als »Besthaupt« oder als »Bestgewand« an den Herrn abgegeben
werden. Starb jemand ohne Erben, so blieb seine Hinterlassenschaft zunächst in der Obhut der
Stadträte und der Geschworenen. Falls sich innerhalb eines Jahres niemand meldete, wurde das Erbe
gedrittelt: ein Teil erhielten die Armen der Stadt, ein Teil sollte für Baumaßnahmen der Stadt oder
der Kirche verwendet werden, ein dritter Teil stand dem Schultheißen zu.

Diese Bestimmung belegt nicht nur das Schultheißenamt, sondern auch die Existenz eines Stadtrates
mit eigenen Kompetenzen. Sie zeigt aber auch, daß die Bürgerschaft soziale und religiöse Aufgaben
als gemeinschaftliche Verpflichtung wahrnahm.

In all diesen Paragraphen hielt sich der Aussteller der Urkunde wörtlich an seine Freiburger Vorlage.
Umso mehr fällt deshalb auf, wenn er einmal davon abweicht. Das ist der Fall in jenem Artikel, worin
der Üsenberger das Verhältnis seiner Dienstleute, Ministerialen, zu seiner Stadt regelt. Während der
Zähringer Herzog deren Aufnahme in die Bürgerschaft Freiburgs von der Zustimmung der Bürger
abhängig machte, setzt der Üsenberger seine eigene Einwilligung voraus. Er fügt sogar noch einen
Passus hinzu: Ein Streit zwischen Bürgern und Ministerialen darf nicht gleich vor das städtische Gericht
getragen werden, sondern zunächst nur vor ihn, den Herrn. Ein derartiges Detail verrät uns etwas
von den Vorstellungen des Stadtgründers. Er plante im Rahmen seiner Möglichkeiten den Aufbau
einer Herrschaft mit einem neuen Mittelpunkt. Damit dieser sich rasch entwickeln konnte, gewährte
er ihm jene Privilegien und Freiheiten, die das große Vorbild Freiburg besaß. Seine Führungskräfte
freilich wollte er in diese Konzeption nicht einbringen. Sie sollten in den alten Strukturen bleiben
. Er hatte allerdings auch erkannt, daß eine stärkere Dynamik, nur durch die Gründung eines
städtischen Gemeinwesens möglich war. Deshalb schenkte er den Bürgern Freiheiten, damit sie eigenverantwortlich
politische Ordnung gestalten konnten. Das Rechtsleben der Stadt, ihre Verwaltung,
das Wirtschaftsleben, das Sozialwesen boten ihnen eine Fülle von Ansätzen zu genossenschaftlicher
Tätigkeit.

Die Üsenberger des 13. Jahrhunderts verfestigten nicht bestehende Herrschaftsstrukturen, sondern
öffneten Freiräume, »damit dieser Ort kräftiger gedeihe!«

Kommunale Selbstverwaltung lag im Interesse der Bürger und der Herrschaft. Die vorletzte Bestimmung
der Urkunde von 1283 macht dies ganz deutlich. Sie bindet beide Seiten. Die Ratsherren und
Bürger Kenzingens schwören dem Herrn, alle Rechte und Dienste, die sie ihm schulden, getreu zu erfüllen
. Der Herr bekräftigt den Bürgern durch Eid, ihre Freiheiten und Vorrechte zu respektieren und
zu schützen. Bürgerliche Selbstverwaltung vollzog sich in den bestehenden Strukturen. Diese wiederum
konnten sich durch die Vitalität einer neuen Gesellschaft erweitern und verändern.

Die nächste Generation nach dem Gründer der Stadt war sich dieses Zusammenhangs wohl bewußt.
Sie rief ihn den Zeitgenossen durch die feierliche Verfassungsurkunde ins Gedächtnis. Seitdem sind
700 Jahre vergangen. Aber ihr Zeugnis könnte auch uns heute mehr sein als ein vergilbtes Pergamentblatt
, das man dann und wann als Kuriosum aus dem Dunkel des Archivs hervorzieht.

Eugen Hillenbrand

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