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den ältesten Einwohnern von Altenkenzingen. Sie waren und wollten in der Nähe ihrer Weinberge zu
Hause sein, hatten da ihre Keltern und Keller und konnten bei Kriegsgefahr zumindest mit einem Teil ihrer
Habe und einem Teil der begehrten vollen Fässern in die Berge fliehen, hatten da wohl auch ihre geheimen
Zufluchtsorte. Es ist zwar bekannt, daß schon kurz nach 1300 Rebleute in die Stadt zogen um
hier sicherer zu sein, aber auch um schneller Absatz zu finden - die Weinberge aber blieben an derselben
Stelle, hauptsächlich an den reich besonnten Südhängen und vielleicht auch auf den Rücken der stadtnahen
Hügel. Dahin führten ein paar Sträßlein, die sich an der Peterskirche trafen, um von dort in ausgekarrten
Wegen in die Reben zu verzweigen. Um St. Peter waren die reichsten Weingüter und die Höfe
der kleinen Rebleute angesiedelt, um St. Georgen mehr die Fischer und Kähner, die nahe beim Wasser
sein wollten.
Für die Stadtkirche wurde die Winzermadonna nicht gestiftet, sondern für eine der drei ländlichen
Kirchen, St. Peter, St. Georg oder für Wonnental. Wonnental entfällt aus bestimmten Gründen. Die Zisterzienserinnen
hatten keine innige Beziehung zum Weinbau. Es war ihnen nicht gestattet den Klosterbezirk
zu verlassen, und ihre Mägde und Knechte wollten sie in Sichtnähe haben, auch hätten sie zur Arbeit
stets die Elz überqueren müssen. Die Nonnen hatten auch nur einen geringen Bedarf an Wein, der
ihnen nur im Krankheitsfall und an hohen Festtagen zu genießen gestattet war, aber der Verwalter, der
Geistliche, die Knechte und selbstverständlich die hohen Gäste bekamen aus dem geräumigen Keller des
Propstes ihren Teil ausgeschenkt. Die Zisterzienserinnen hätten die Madonna mit der Traube nicht nötig
gehabt wegen den paar Rebbergen, die sie von Männern besorgen ließen, sie hatten andere Anliegen!
Die Georgskirche gehörte noch bis 1483 dem Kloster Einsiedeln, das einen Teil seiner Besitzungen
bereits 1353 verkaufen mußte, um die prekäre finanzielle Lage des Klosters zu bessern. Weder das Kloster
noch die wenig Weinbau treibenden Bewohner der Georgsbreite waren in der Lage oder interessiert
daran, den Auftrag zur Gestaltung einer Winzermadonna zu erteilen. Bleibt das Kirchlein St. Peter an
der Verzweigung uralter Wege in die Weinberge, als Standort für die Winzer-Madonna! Außer dem Pa-
tronatsrecht in St. Peter hat die Abtei Andlau seit 1344 keine Besitzung mehr, der Dinghof war an die
Stadt verkauft worden, was sicher bedeutet, daß ihr dieser Besitz etwas wert war und daß in seiner Umgebung
wohlhabende Altenkenzinger vom andlauischen Schultheißen frei sein und sich enger der Stadt
anschließen wollten, wo ihr Markt blühte. Nur ein wohlhabender Berufsstand konnte in seine Kirche eine
so kostbare Schnitzerei stiften, ein ziemlich selbstbewußter Menschenschlag, der wußte, was er vom
Künstler verwirklicht haben wollte. Es mußte sogar ein außerordentlich geschickter Meister sein! Wahrscheinlich
ist er aus Straßburg gekommen, es gibt dort einige Kunstwerke, die sehr ähnliche Züge und
handwerkliche Merkmale aufweisen wie die Kenzinger Muttergottes. Ein Straßburger war er indessen
nicht, auch weder Badener noch Schwabe - sondern alles spricht dafür, daß er ein Bayer gewesen sein
muß.
In Straubing an der Donau finden sich denn auch in der dortigen spätgotischen Stiftskirche St. Jakobus
Glasmalereien, welche dieselbe Künstlerhand annehmen lassen. Das muß noch näher geprüft werden.
Gewiß gibt es von diesem hervorragenden Meister noch andere Werke. Die Kenzingerin kann nicht die
einzige Bildhauerei sein. Er war wie alle Großen der Kunst der Donauländer, des Allgäu- und Bodenseegebietes
einmal im Leben für eine Zeit in die Kunst- und Kulturstadt Straßburg gereist, um mit anderen
Großen dort zu wetteifern. Vielleicht stammte er aus Straubing. Die Stadt ist Mittelpunkt der niederbayrischen
Landwirtschaft und des Künstlers Freude, ja ausgesprochene Vorliebe für eine zwar feine, aber
doch ländlich bäuerliche Gestaltung seiner Madonna und eine realistische Einbeziehung der natürlichen
Frucht in sein Kunstwerk von dichter religiöser Kraft und Gültigkeit, die Bodenständigkeit und auch gerade
beim Jesusknaben zutagetretende energische entschlossene Haltung läßt zu, den Meister im ländlichen
Gebiet Niederbayerns beheimatet anzunehmen.
Die Madonna gehört der Zeit des Frühnaturalismus an, der Zeit des sogenannten Prunkstils, der
von 1400 bis 1430 seine letzte Ausprägung und Vollendung erfuhr. Die Madonnen dieser Zeit werden
treffender als Plastiken des weichen Stils bezeichnet, der sich in Deutschland und Oesterreich nach Vorbildern
Böhmens entwickelt und verbreitet hat. Sie stehen meist im Strahlenkranz und obschon sehr zierlich
von Gestalt, stehen sie in den üppigen Gewändern breit und schwer, von den weichen Formen und
Falten umschmiegt da, wie erdgebundene Wesen.
Was an den Madonnen des weichen Stils, des Frühnaturalismus besonders auffällt, ist, daß sie
stets mit dem Menschen, dem Betrachter eine liebenswürdige Verbindung eingehen, vor allem mit dem
betenden oder eine Bitte vortragenden Betrachter. Trotz hoheitsvoller Innerlichkeit neigen sie alle ihr
Haupt und ihr Ohr dem Menschen und seinen Sorgen zu. Sie sind Mittler zwischen Erde und Himmel geworden
. Dieser Aufgabe konnten sie nur entsprechen, wenn ihr Standort in der Kirche kein hoher, auf
keinen Fall ein Hochaltar war! Alle dort vorgesetzten Gnadenbilder sind fehl am Platz, soviele es
auch sein mögen! Das Gnadenbild, die Madonnen einer bestimmten Andacht, gehören in die Nähe
des Menschen, damit er sie betrachten, mit ihnen Zwiesprache halten kann. Sie muß ihm durch ihre
Nähe vertraut werden. Ihr Standort ist ein Nebenaltar oder eine Wandkonsole, auch eine niedrig angbrachte
Pfeilerkonsole. Die Höhe wird bestimmt durch die Neigung des Hauptes der Marienstatue.
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