http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-1985-5/0081
Vom Morgenglanz gekrönt, die Linde
Steht regungslos,
Als sei ihr bange, daß das Leuchten schwinde,
Wenn nur ein Zweig, ein Blättchen nur erzittert.
So, wenn dein Lächeln oder deine Hand
Mich hold berührte, mich wie Licht umfloß.
Stand ich still in der Glorie, festgebannt,
Doch innen bis ins tiefste Herz erschüttert.
Ricarda Huch (1864-1947)
Mittag
Am Waldessaume träumt die Föhre,
Am Himmel weiße Wölkchen nur;
Es ist so still, daß ich sie höre,
Die tiefe Stille der Natur.
Rings Sonnenschein auf Wies' und Wegen,
Die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach,
Und doch, es klingt, als ström' ein Regen
Leis tönend auf das Blätterdach.
Theodor Fontane
Nachts
Ich stehe im Waldesschatten
Wie an des Lebens Rand,
Die Länder wie dämmernde Matten,
Der Strom wie ein silbernes Band.
Von fern nur schlagen die Glocken
Über die Wälder herein,
Ein Reh hebt den Kopf erschrocken
Und schlummert gleich wieder ein.
Der Wald aber rühret die Wipfel
Im Traum von der Felsenwand.
Denn der Herr geht über die Gipfel
Und segnet das stille Land.
Joseph von Eichendorff (1788-1857)
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