Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
6. Jahrgang.1986
Seite: 65
(PDF, 21 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-1986-6/0067
ling das Land seiner Wahl zum ersten Wohnsitz bestimmt. Hier kam er wieder nur in ein
zentrales Durchgangslager, wo eine Kommission des Regierungspräsidiums erst, wenn es
ging, wieder nach dem Wunsch des Flüchtlings, seinen zukünftigen Wohnort festlegte.
Jetzt erst kam der Flüchtling in den Ort seiner Bestimmung, in unserem Falle nach Kenzin-
gen. Es kamen oft nur einzelne Personen, dann wieder mehrere Personen, so daß die Gemeindeleitung
immer auf den Fall vorbereitet sein mußte. Weil Baden-Württemberg ein
Aufnahmeland war, d.h. weil dieses Land wegen der Zuzugssperre für Flüchtlinge der
französischen Militär-Regierung bis 1948 kaum Vertriebene aufgenommen hatte, wurde
der Andrang der Vertriebenen Anfang der 50er Jahre immer größer, damit nun das Land
diese Massen besser aufnehmen könne, hat es am 12. Mai 1953 in Kenzingen auch ein
Landes-Durchgangslager für Ostzonenflüchtlinge errichtet.

Am 1. Mai 1953 ist die Zigarrenfabrik Neusch vom Landratsamt für Umsiedlung (Regierungspräsidium
) gemietet worden. Die monatliche Pacht betrug 560,- DM. Nun stand die
Gemeinde Kenzingen wieder vor großen Aufgaben, auch hier wurden anfangs nur spanische
Wände eingezogen. Es mußte die Wasserleitung, das Stromnetz erweitert, zwei
Wasserbad-Kochkessel angeschlossen, eine Niederspannunsleitung von der Trafostation
erstellt werden. Das Lager bestand zehn Jahre lang und beherbergte ca. 200 Ostzonenflüchtlinge
. Lagerleiter dieses Nebenlagers Kenzingen vom Durchgangslager Freiburg-Betzenhausen
war Brandis. Es muß betont werden, daß die Insaßen dieses Lager nicht für die
Ansiedlung in Kenzingen bestimmt gewesen sind. Die Flüchtlinge lebten hier nur so lange,
bis das Regierungspräsidium für sie einen endgültigen Wohnort gefunden hat. Sie versuchten
wohl sich in Kenzingen eine private Wohnung zu verschaffen, sie erhielten aber keine
Erlaubnis diese Wohnung zu beziehen.

Der Bürgermeister von Kenzingen beklagte sich in einem Schreiben, daß seit der Belegung
des Gebäudes mit Flüchtlingen laufend Insaßen Unterstützung jeglicher Art von der Gemeinde
anfordern. Der Bürgermeister war aber der Ansicht, daß die Insaßen landesbedürftig
sind.

Der Hausmeister des Lagers, Bilharz, erhielt den Auftrag, das Brausebad in der Volks- und
Realschule in Ordnung bringen zu lassen, damit die Frauen am Freitagmorgen und die
Männer am Samstagmorgen das Bad benützen können. Frau Liesel Beck übernahm das
Bad. Die Gebühr für ein Brausebad betrug 30 Pfennig.

Schon eine Woche nach der Eröffnung des Lagers erschienen 32 schulpflichtige Kinder in
der Volksschule von Kenzingen. Diese armen Kinder besaßen aber keinerlei Schreibutensilien
und auch keine Bücher. Ihre Eltern waren natürlich auch mittellos, und nun stellte sich
die Frage, ob die Stadtgemeinde, der Kreis oder das Land die nötigen gebrauchten Lehrmittel
den an sich ordentlichen Kindern verabfolgen werde. Es kamen laufend neue Kinder
hinzu, andere wieder zogen schnell weiter. Das Regierungspräsidium stellte am 1. Juni
1953 fest, daß die Versorgung der Flüchtlingskinder — auch derer des Lagers — mit Lehrmitteln
, die Sache der Gemeinde ist. Ansonsten habe das Regierungspräsidium auch eine
Sammlung von Lehrmitteln veranlaßt.

Es kam auch zu Klagen seitens der Stadtbewohner. Im Sommer 1953 klagte der Feldhüter
Bilharz, daß die Lagerinsassen oft fremdes Eigentum betreten und darauf sich ein Ruheplatz
einrichten und ihre Kinder Feldfrüchte wie Obst entwenden würden. Dieselben Klagen
wiederholte die Feldpolizei auch im August 1955. Ein Jahr später wird darüber geklagt
, daß das Durchgangslager ungepflegt aussehe, die Fenster seien nicht einmal geputzt
und die kleinen Gardinen sauber gewaschen. Wörtlich hieß es: »Dieses Haus ist ein grausiger
Anblick«. Daraufhin wurde 1957 eine Außenreparatur durchgeführt.
Die Gemeinde überließ unentgeltlich die Fest- und Turnhalle für die jährlich wiederholten
Weihnachtsfeiern des Lagers.

1962 wurde das Durchgangslager ganz aufgelöst. Für die Vertriebenen, die ihren Wohnsitz
in Kenzingen aufnehmen sollten und für die noch keine Wohnung bereit stand, hat man in

65


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-1986-6/0067