http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-1991-10-11/0096
Heidelberg-Würzburg), orientierte man sich jetzt an der badischen (Karlsruher) Zeit, bis
man auf württembergisches Gebiet kam, wo nun Stuttgarter Zeit galt. Bei durchgehenden
Zügen wäre dies kein Problem gewesen, nur gab es diese lange Zeit nicht. Aber wenn man
z. B. in Würzburg umsteigen mußte und es stand im Fahrplan für ein und denselben Zug
zu lesen:
Würzburg ab 8.10 Münchener Zeit
Würzburg ab 7.56 Karlsruher Zeit
Wenn man die eigene Uhr dann womöglich noch auf Berliner Zeit gerichtet hatte? Das
führte zu vielen Verwirrungen und Mißverständnissen und zu unzähligen verpaßten Anschlüssen
. Daneben gab es ja auch noch die Prager Zeit, die Pariser Zeit, die Budapester
Zeit usw. Ein sehr schönes Beispiel über den damaligen Umgang mit der Zeit ist die Rede
von Moltke (d.Ä.), vor dem Reichstag. (Q17):
»... Was die Landbevölkerung betrifft, so sieht der ländliche Arbeiter überhaupt nicht nach der Uhr;
er hat meist keine Uhr, er sieht nur ob es schon Tag ist. (Sehr richtig!) Wenn die Dorfuhr verkehrt
geht, was meistenteils der Fall ist, (Heiterkeit), so kommt er eine Viertelstunde zu früh, aber er wird
nach derselben Uhr wieder entlassen. Es ist an vielen Orten üblich, daß die Schuluhr zurückgestellt
wird, damit die Kinder da sind, wenn der Lehrer kommt. (Heiterkeit) Umgekehrt stellt man die Uhr
an Orten, die nahe der Eisenbahn liegen, in der Regel einige Minuten vor, damit der Zug nicht versäumt
wird. Bedenken sie ferner, wie oft die akademische Viertelstunde überschritten wird, auch bei
uns. (Heiterkeit) ...«
Gerade die Frage der einheitlichen Uhrzeit, für uns heute eine Selbstverständlichkeit, erscheint
mir als ein schönes Beispiel um zu zeigen, wie weit die Wirkung der Eisenbahn
in das alltägliche Leben der Menschen abstrahlt. Die Bahn brachte mit ihren präzisen Fahrplänen
erstmals übergreifend den Respekt vor der Minute. So ist es kein Zufall, daß das
Kenzinger Stationsgebäude von einem recht ansehnlichen Uhrtürmchen gekrönt wurde,
das nach allen vier Seiten hin weit sichtbar die Uhrzeit verkündete. Das stattliche Türmchen
krönte das Gebäude noch bis zu seinem zweiten totalen Umbau im Jahre 1965. Durch
seinen Verlust hat das Gebäude weit mehr als nur einen Zeitzeiger verloren. Es war zuvor
weit über einhundert Jahre lang der markante Fluchtpunkt am unteren Ende der Eisenbahnstraße
und signalisierte jedem Fremden sofort: hier fährt die Bahn!
Die Bahnen in der nächsten Umgebung
Mittlerweile war die Hauptbahn von Mannheim bis Basel und an den Bodensee bis Konstanz
mit ihrer Länge von 414 km vollendet. Dazu waren einige kleinere Seitenbahnen fertiggestellt
und die Bahn war an etlichen Punkten an die Bahnen des Auslandes
angeschlossen. Dies war im wesentlichen auch der Stand in den anderen Teilen des Reiches
. Die auch heute noch wichtigen Magistralen waren zu diesem Zeitpunkt praktisch
vollendet, praktisch alle bedeutenden Städte waren bereits an die Eisenbahn angeschlossen.
Was in den nächsten Jahren entsteht, ist ein engmaschiges Eisenbahn-Netz. Die Epoche
der frühen Landerschließung ist quasi abgeschlossen, die erste Revolutionierung des Verkehrswesens
ist aber noch voll im Gang. Jetzt entstehen die ersten abkürzenden Hauptbahnen
wie z. B. die direkte Bahn von Mannheim nach Karlsruhe ohne den Umweg über
Heidelberg, die im Jahre 1870 in Betrieb genommen wurde. Jetzt beginnt aber auch die
Epoche der regionalen Landerschließung durch die Eisenbahn. Bedingt durch die schwierige
Oberflächenstruktur des Landes war dies in Baden nicht leicht zu bewerkstelligen.
Nur zwei Stichworte: Schwarzwald und Odenwald. Aber es gab auch noch andere Hemmnisse
. So z. B. die Landesgrenzen und all das was noch immer als Ausland angesehen wurde
. In der Zeit etwa ab 1871 wurden in unserer Raumschaft folgende Bahnen vollendet:
1865 Lahr/Dinglingen - Lahr/Stadt; Privatbahn 1872 Freiburg - Breisach; Privatbahn
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