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Löhne und Berufspyramide zeigen jedoch
, daß die generationenlange Diskriminierung
der Frau noch längst
nicht überwunden ist. Denn Frauen
verdienen im Durchschnitt erheblich
weniger als Männer: 1988 kamen Arbeiterinnen
auf 70 Prozent, weibliche
Angestellte auf gerade 64 Prozent der
Männergehälter. Die Tatsache, daß
Frauen auch in Kenzingen zahlreiche
Firmen leiten, kann nicht darüber hinwegtäuschen
, daß Frauen in Führungspositionen
nach wie vor unterrepräsentiert
sind; gern läßt man sie
schlecht bezahlte, gesellschaftlich wenig
angesehene Arbeiten ausführen,
oft noch ohne angemessene Sozialversicherung
.
Von 16 943 ooo
erwerbstätigen
MÄNNERN —
Berufs-Pyramiden
In den alten Bundesländern
(Stand 1989)
Von 10 794 000
erwerbstätigen
FRAUEN
DIE PYRAMIDEN der Stellung im Beruf nehmen sich aus wie Mahnmale der
Nicht-Gleichberechtigung. Denn zu den höheren Rängen der Berufswelt steigen
unter den Männern weitaus mehr auf als unter den Frauen. 3,1 Millionen
erwerbstätige Männer - 18 von je 100 - sind Direktoren, Abteilungsleiter,
Sachgebietsleiter, Freiberufler oder als Gewerbetreibende selbständig, aber nur
0,8 Millionen Frauen; von je 100 erwerbstätigen Frauen schaffen es nur sieben bis
zur Führungsebene. Dagegen am Fuß der Berufspyramide, bei den Un- und
Angelernten, den mithelfenden Familienangehörigen und den Lehrlingen, gibt es
mit 5,1 Millionen fast ebensoviele Frauen wie Männer {5,5 Millionen}. 47 von je
100 erwerbstätigen Frauen sind auf dieser untersten Karrierestufe zu finden, aber
nur 32 von je 100 erwerbstätigen Männern. Sind es die Männer, die die Frauen auf
dem Weg nach oben behindern? Sicherlich auch, aber nicht nur. Hinzu kommt,
daß weitaus mehr Frauen als Männer von vornherein auf beruflichen Ehrgeiz
verzichten, weil Haus und Familie ihren Lebensschwerpunkt bilden. Sie wollen
oft nur hinzuverdienen, um die Haushaltskasse zu entlasten, aber natürlich ist
auch die herkönmmliche Rollenverteilung bei der Familiemgründung und der
Kinderaufzucht eine Karrierebremse; denn oft ist es schwer, nach der „Familienpause
" beruflich wieder den Anschluß zu finden. (SZ)
Fig. 5: Berufspyramiden, Süddeutsche Zeitung
16.1.1992, Nr. 12, S. 49.
Vom Grenzland des Reiches in die
Mitte eines geeinten Europas
Die Generation der Großeltern hat in
den wenigen Jahrzehnten von 1870 bis
1945 drei Kriege erlebt, mit steigenden
Schrecken und Verlusten. Nach dem
Ersten Weltkrieg fand Europa keinen
Frieden. Mißtrauen beherrschte weiterhin das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich
. Wer war schon bereit, in Reichweite französischer Kanonen zu investieren und Arbeitsplätze
zu schaffen? Armut und Not, an die sich viele Gesprächspartner lebhaft, wenn
auch nicht immer gern erinnern, erklären sich auch mit der politischen Großwetterlage
der 20er und 30er Jahre.
Vor diesem Hintergrund wirken die Aussöhnung mit Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg
und die Bildung eines geeinten, dem Frieden verpflichteten Europa fast wie ein Wunder.
Wer heute von Kenzingen ins Elsaß fährt, muß jenseits des Rheins im allgemeinen nicht
einmal mehr anhalten, geschweige denn sich ausweisen und aussteigen. Darf man es als
gutes Zeichen werten, daß davon in den Gesprächen mit den Firmeninhabern so gut wie
nie die Rede war? Daß das gut nachbarschaftliche Verhältnis zum westlichen Nachbarn
offensichtlich schon als selbstverständlich gilt?
Daß auch die Politik eines geeinten Europas Unsicherheiten birgt, klang selten und eher
verhalten in den Gesprächen an.
Auf und Ab in den letzten zwanzig Jahren
Nach jahrzehntelanger Aufwärtsbewegung wurde die Rezession mitbedingt durch die Ölkrisen
in den 70er Jahren — um so stärker empfunden. Ihr folgte eine optimistische Welle
in den 80er Jahren; sie wurde verstärkt durch die Euphorie, die die Öffnung der »Mauer«
(November 1989) und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten (Oktober 1990) begleitete
. Die sich daraus ergebenden Lasten ideeller und materieller Art ließen schon bald
Mißstimmung aufkommen.
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