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Die Stadtapotheke
»Contra vim mortis / Nulla herba in hortis« (Gegen die Macht des Todes ist kein Kraut
gewachsen). Auf dem Weg vom Bahnhof in die Stadt sieht man sich durch die große Inschrift
an der Stadtapotheke auf eine unüberschreitbare Grenze der Heilberufe verwiesen
: Sie können Krankheiten heilen, Schmerzen lindern, manchem Übel vorbeugen - doch
ohnmächtig stehen sie der Gewalt des Todes gegenüber.
Wenige Kenzinger Unternehmen blicken auf eine ähnlich lange Geschichte zurück: In der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die spätere Stadtapotheke als Filiale der Münsterapotheke
in Freiburg geführt; bis 1939 war sie im Besitz der Familie Rieder. Xaver
Rieder war 1782 aus dem Elsaß nach Kenzingen zugewandert; er war einer von Tausenden
von Handwerkern, Kaufleuten, Künstlern, die die Oberrheinlande bis in unser Jahrhundert
verklammerten und dazu führten, daß es an beiden Ufern des Rheines so viele
und unübersehbare Gemeinsamkeiten gibt.
Ausbildung
Zum 1. Januar 1939 - genau neun Monate später löste der Überfall des Deutschen Reiches
auf Polen den Zweiten Weltkrieg aus - übernahm Kurt Walter die Stadtapotheke.
Walter war seinerzeit 31 Jahre alt; er stammt aus Iggelheim in der Pfalz (ein Beispiel für
die Verzahnung rechts- und linksrheinischer Lande). Nach dem Besuch von Volks- und
Oberrealschule hatte er das Abitur gemacht; darauf folgten eine Praktikantenzeit und das
Pharmaziestudium, das er mit dem Staatsexamen abschloß. Die Prüfung verweist auf die
Bedeutung, die der Staat diesem Beruf zumißt. Der Apotheker erhält, wie der Arzt, eine
staatliche Approbation (Billigung). Wie der Arzt ist er zur Verschwiegenheit verpflichtet;
zu ihr verpflichten sich unterschriftlich auch die anderen Bediensteten einer Apotheke.
Nach 46jähriger Berufstätigkeit verpachtete Walter aus Altersgründen zum 1. Januar 1985
die Apotheke an seine langjährige Mitarbeiterin, Frau Eva-Maria Hayer-Kaiser. Damit
ist über mehr als fünfzig Jahre ein hohes Maß an Kontinuität gewahrt, was die Kunden
- die im allgemeinen Patienten, Leidende sind - zu schätzen wissen. Frau Hayer-Kaiser
hat noch eine ähnliche Ausbildung durchlaufen wie ihr langjähriger Chef: Auf das Abitur
folgte ein zweijähriges Praktikum; hatte man dieses erfolgreich abgeschlossen, konnte
man vertretungsweise in Apotheken arbeiten; Nacht-, Sonn- und Feiertagsdienst wurden
gut bezahlt. Wer bereit war, vom vierten Adventssonntag über Weihnachten und Neujahr
bis zum Fest Dreikönige Dienst zu machen, hatte mit der Vergütung einen Teil des
Wintersemesters finanziert - z.B. 1972/73 für eine Woche Dienst ein Einkommen von 700
bis 800 Mark.
Erweiterung - auch um ein Reformhaus
Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde die Apotheke zweimal erweitert; aus dem stattlichen
spätbarocken Haus wurden die Verkaufsräume in einen - auch für Rollstuhlfahrer
unschwer erreichbaren - Anbau verlegt. Seit etwa 1960 ist der Apotheke ein Reformhaus
angegliedert. Die Ergänzung kompensiert Verluste, die der Übergang zur privaten Motorisierung
und die Gründung einer zweiten Apotheke im Ort brachten.
Seit Kenzingen an die Eisenbahn Offenburg-Freiburg angebunden war (1844), verfügte
die Stadtapotheke über einen günstigen Standort: Täglich kamen Hunderte von Menschen
auf dem Weg zum Zug vorbei. Der Vorteil schwand seit den 1960er Jahren mit der Motorisierung
der Privathaushalte - zu einem Teil; denn mittlerweile findet man tagsüber auf
der Hauptstraße oft keinen Parkplatz mehr, wohl aber noch am Rande der Eisenbahnstraße
. Nachteilig wirkte sich auf den Umsatz zeitweilig auch die Gründung der dritten
Apotheke in Kenzingen aus (1982). Während im Landesdurchschnitt 3473 Einwohner auf
178
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