http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-1991-10-11/0280
Erinnerungen von und an Lotte Frank
* 17.10.1901 | 31.10.1992
Als Lotte Frank am 17. Oktober 1901 geboren
wurde, hatte ihr Vater Albert Hug gerade
das Großhandelsgeschäft von Heinrich
Mayer in Kenzingen übernommen. Es war
ein altehrwürdiges Geschäft, welches um
1828 von Heinrichs Vater Christian Mayer
zusammen mit dem Bruder seiner Frau, einer
geborenen Seramin aus Oberrotweil, gegründet
worden war. Der aus Simonswald
stammende Albert Hug nahm sich ebenfalls
einen Teilhaber namens Lutz.
Der Handel mit Kolonialwaren en gros florierte
, große Planwagen mit Säcken voll Lebensmittel
wurden so hoch beladen, daß
nur ein Doppelgespann Pferde die Fracht
über den Schwarzwald bis an den Hochrhein
ziehen konnte. Neben dem Rathaus
in Kenzingen befanden sich das Geschäft
und die Lagerräume, gegenüber die Ställe
mit den Pferden. Acht bis zwölf Pferde waren
dort untergebracht, die ihre zum Teil aus
Hamburg stammende Fracht bis nach
Säckingen und Waldshut im Süden und
Lahr im Norden zogen. Als Kind schaute
Lotte den Handlungsgehilfen zu, die am
Schreibpult mit Tinte und Feder Frachtbriefe ausfüllten oder Lieferungen in große Kontenbücher
eintrugen. Sie liebte es besonders, wenn Ware »auf Anbruch«, d.h. im Detail
verkauft wurde und sie den Inhalt der Säcke inspizieren durfte. Als der Erste Weltkrieg
ausbrach, hieß es von den Pferden Abschied nehmen. Sie wurden requiriert und zogen
nun Kanonen. Von dort an mußte der Vater die Waren mit der Eisenbahn befördern lassen
, bis nach und nach Lastwagen angeschafft werden konnten.
Inzwischen ging Lotte bereits auf die Oberrealschule nach Freiburg, das heutige Rotteck-
Gymnasium. Die Höhere Mädchenschule hatte sie abgelehnt, sie wollte sich nicht nur auf
einen zukünftigen »Beruf als Frau« vorbereiten. Ihr Sinn stand nach Höherem. Jeden Morgen
um 5.20 Uhr fuhr der Zug von Kenzingen nach Freiburg, wo sie viel zu früh ankam
und daher die Zeit bis zum Schulbeginn um acht Uhr im Wartesaal Zweiter Klasse verbringen
mußte. Es war kein einfaches Leben, vor allem, wenn man sich unter 78 Jungen
behaupten mußte! Gerade drei Mädchen legten 1920 das Abitur dort ab, war doch diese
Art von Schulbildung für Frauen damals noch unüblich. Aber sie hatte ein Ziel vor Augen
: Sie wollte bei dem berühmten Professor Husserl Philosophie studieren. Eine Frau
an der Universität - 1920 war dies noch etwas Außergewöhnliches. Das sei ja wohl kein
für Frauen geeignetes Studium, meinte Husserl, und es bedurfte der Intervention des Ken-
zinger Philosophen Dr. Ochsner, daß er Lotte Hug als Studentin annahm. Als sie den üblichen
Abschluß durch eine Promotion anstrebte, war kein Geld mehr da. Zwar hatte der
Vater versucht, der galoppierenden Inflation durch Ansammeln von Sachwerten - nicht
zuletzt in Form einer Aussteuer für die Tochter - zu begegnen, aber nach der Währungsreform
von 1923 waren die für den Abschluß des Studiums benötigten 500 Mark einfach
nicht aufzubringen. Sie mußte ihre Wünsche begraben.
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