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Und was Essen und Trinken und gastliches Beisammensein betrifft: das menschliche Herz ist
so nahe beim Magen wie beim Gehirn und nicht sehr sehr weit vom Verdauungstrakt entfernt.
Sinnliches und Geistiges wie auch Irdisches und Himmlisches gehören zusammen. Was in der
Neuzeit streckenweise verlorenging, die Alten wußten es: bis in die Sprache hinein lassen sie
beisammen, was zusammengehört. So heißt es bei Augustinus (und vielerorts kann man das
gleiche lesen): Zur höchsten Form der Erkenntnis gehört es unaufgebbar hinzu, Freude und
„Geschmack" an der Wahrheit zu haben. In der „delectatio veritatis" - im schmeckenden
Sich-Erfreuen - wird die Wahrheit zur „Delikatesse". Und weiter meint Augustinus: Im Umgang
mit den Dingen genügt es nicht, sie nur zu gebrauchen, erst wenn man sie genießt, gewinnen
sie ihre eigentliche Wirklichkeit (uti-frui). Sie werden dann als „gute Gaben" nicht
nur gebraucht, sondern genossen, dankbar dem „Geber aller Gaben". „Schmecket und sehet,
wie gut der Herr ist [.....]" (Ps. 34,9).
Ja, schmecket muß es heißen: denn „schmecken" ist mehr, ist auch „sinnlicher" als mit „spitzem
Mund verkosten". Schon die Physiologie legt das nahe; die Geschmacksnerven mit
ihrem unterschiedlichen Wahrnehmen sind über den ganzen Mund verteilt. Beim Reden sollte
man den Mund nicht zu voll nehmen. Beim Essen und Trinken sehe ich das anders. - Und daß
dies bis zur Gestaltung von Gläsern bedeutsam ist, das ahnte nicht nur der Wiener Professor
Hofmann; das weiß auch Professor Riedel, und die Konkurrenz belacht das schon lange nicht
mehr.
Und dazu nur ein Letztes: Sapere sapientis, das „unterscheidende Schmecken ist die Sache
des Weisen" sagt der hl. Augustin; und Bernhard v. Clairvaux meint: „sapiens est, qui res sa-
piunt prout sunt" ("der Weise ist es, der die Dinge schmeckt, wie sie sind").
Abb. 4: Stilleben, Weinflasche und Nüsse, Mäßigkeit, Albert Anker (1831 - 1910).
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