Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
17. Jahrgang.1997
Seite: 39
(PDF, 31 MB)
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tief empfundenen Verlusten der Epoche im Religiösen und Geistigen, damit im Menschlichen
oft überkam, es schössen ihm Einfälle aus den weiten Bereichen seines Wissens zu neuen Gedanken
zusammen, die alle staunen machten, - auf seinem Gesicht leuchtete sein großzügiges,
großmütiges Wesen mit der Güte und Weisheit, die ihm eigen war. Heinrich Ochsner war
dann oft trunken von der Fülle der Gesichte, der manchmal die Sprache der Mitteilung kaum
nachkam, aber er war nie betrunken. (Übrigens muß ich betonen, daß ihm in solchen Minuten
nie etwas Schwärmerisches eigen war; er hatte immer Boden unter den Füßen.)
Der Wein war ihm nicht nur in den Stunden festlichen Zusammenseins und des Geistes, ob
mit Freunden oder allein, sein Leben lang verbunden. Er blieb ihm auch im weisen Humor
seiner schmerzlichen Angst ums eigene Leben nah, - z.B. als er bei dem vernichtenden Bombenangriff
auf Freiburg (1944) in großer Gefahr war. Ich habe das 1981 wie folgt erzählt:

Dionysische Weltuntergangsgedanken

/ sag 's jo, der, wo alle git,
wenns Zit isch, er vergisst ein nit.

(Hebel: Das Spinnlein)

1944 war ich zeitweise in Freiburg. Heinrich Ochsner und ich trafen uns abends regelmäßig
beim Herrn Vogt im Markgräfler Hof in der Gerberau. Die Zeiten waren schlimm.
Schümms wars aber auch, daß es keinen Wein gab, weil er in schlimmen Zeiten besonders
notwendig ist, um sie zu ertragen. Jedenfalls durfte pro Gast am Abend nur ein Achtele
Wein ausgeschenkt werden, - und was ist das schon! Grad etwas zum Verlocke, zum
glustig mache.

Aber warum gingen wir wohl jeden Abend zum Herrn Vogt? Ja - weil auf dem Tisch im
Markgräfler Hof ein großer Blumenstrauß stand, und hinter dem Strauß, das sah freilich
nicht jeder, standen die Gläser, und hinter den Gläsern saßen wir. Die Gläser hinter dem
Strauß sah nicht jeder, also auch nicht das Wunder, daß sie nie leer wurden, obwohl doch
wir hinter den Gläsern saßen. Sie wurden nie leer dank der Freundlichkeit des Dionysos,
der das Herz des Herrn Vogt gerührt hatte und auch die Hand der mildtätigen Zugeherin
sicher und geschickt führte. Es war ein Wunder mitten in den Kriegszeiten, für das wir
sehr dankbar waren, besonders auch, weil es sich an so vielen Abenden wiederholte.

Es wiederholte sich auch noch, als ich nicht mehr in Freiburg war. So nämlich saß Heinrich
Ochsner am 27. November 1944 abends im Markgräfler Hof, um dem Dionysos zu
huldigen und, wie er zu tun pflegte, wenn er allein war, dabei Heidegger, einen andern
Philosophen oder Poeten im Zwiegespräch zu lesen, zu bedenken, zu befragen. Da kam
der Fliegeralarm. Schon fielen die ersten Bomben. Was man hörte, war schlimm. Es
blieb nur der Gang in den Keller, und das war der Weinkeller. Somit wartete Heinrich
Ochsner zwischen den riesigen Fässern in ihrem Duft, während draußen die Luft zu
Rauch wurde und für die Stadt der Weltuntergang gekommen zu sein schien.
Die Altstadt Freiburgs zerbarst in Bomben und Flammen.

Die Mauern des Markgräfler Hofs zitterten bis in den Keller und die dort Versammelten
waren starr vor Angst. Jeder hörte, wie der entsetzliche Vernichtungssturm tobte. Heinrich
Ochsner hat später erzählt, daß er unter dem grauenhaften Donnern und in der allgemeinen
Ohnmacht an den hier anfangs zitierten Hebelvers dachte, und dann weiter daran,
daß, wenn es nun dies Haus träfe, die einstürzenden Decken die riesigen Fässer zerschlügen
und er vermutlich im Wein ertrinken würde. Das schien ihm wenigstens noch ein gewisser
Trost zu sein und eine zu ihm passende Form, dem Wahnsinn der schlimmen Zeit
einigermaßen würdig Valet zu sagen.

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