Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
17. Jahrgang.1997
Seite: 43
(PDF, 31 MB)
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bringt, ist nie zu erschöpfen. Heinrich Ochsner hielt beim Trinken ein Maß ein, das ihm aus
dem Geschenk des Weins selbst entstand. Seine angestammte Erde, das Elsaß eingeschlossen,
und la douce France, in ihren aus der Nachdenklichkeit langer Generationengemeinschaft von
Menschen und Heiligen gezogenen Gewächsen, öffneten ihm im Zugesprochensein des eigenen
Daseins immer wieder die weitesten Ausblicke. So kam ein „Mehr" oder ein Ausschlagen
aus eigener Verstrickung gar nicht ins Spiel; das Eingehen in die befreiende Dimension verhielt
sich ganz von selbst. Solange ich ihn kannte, war es das Trinken eines reifen Menschen,
der mit seinem Schicksal, so schwer er zu tragen hatte, ausgeglichen war oder solchen Ausgleich
in manchen Stunden des Weins gewann.

Der Wein blieb ihm treu bis ins hohe Alter. Fast immer war er ihm täglich zugetan. Wer dann
mit ihm gesprochen hat, entsinnt sich nicht ohne Erschütterung der Unermeßlichkeit des Gedachten
, auf die das zur Sprache Gekommene verwies. Welche Fülle des ihm Zugedachten,
des Widerfahrenen, des im Lesen Gesammelten muß ihn (und muß er) in diesen Stunden bewegt
haben. Was „sind" die Emissionen des Geistes, die im Nachtlicht der Geheimnisse des
Dionysos, des Wein- und Brot-Mysteriums, der heute namenlosen Einstimmungen des Weins
geschehen? Wissen wir davon oder schweigen wir besser darüber?

Er hat viel allein getrunken. Viel lieber aber war ihm das Sympinein mit Freunden. Gemeinsame
Beschwingtheit, Beflogenheit vom Geist war freiere, sich formendere Wirklichkeit, war
erinnernd vorausrufende Analogie zu vertrauten, winkend unvergänglichen Synousien. (Man
erlaube die griechischen Worte: sympinein - Zusammen-Trinken; synousia - Miteinander-we-
sen; keine Übersetzung kann sie vertreten. Ihre Unentbehrlichkeit möge anzeigen, daß und
wie mit Ochsner „griechische Stunden" zu leben waren.) Die Abende stehen mir noch da, an
denen wir zu dreien in den Anblicken des Geistes von seinen schwer-langsamen Schritten, oft
verborgen in ihrem Wirken, von Geschehen und Entzug des Heiligen in der Geschichte und
von vielem anderen gesprochen haben. Am offenbarsten, vielleicht weil das „konkret Vernünftige
" auf sie hin besonders klar ins Wort kam, bleibt das Nachdenken über die Schicksale
der Lebenden, wie sie dem Freund und Berater Ochsners, Erwin Tecklenborg, in seiner ärztlichen
Arbeit begegneten. Die Leidenden (Patienten) verwandelten sich dabei in zu-Leidende
und diese unmerkliche Metamorphose brachte Wesenskräfte (synousische Kräfte) in die Wellen
der Beziehung ein. Dies in veränderter Zuwendung eryximachische Element, daß der von
den Leiden der Kranken Heimgesuchte mit dem von Geschichte und Gedanken Heimgesuchten
im Austausch zusammen war, daß in und über Erzählungen und Aufschließungen Erwarten
und Ausstehen, Hoffen und Verzweifeln, Versuchen und Versagen als ziehendes Gewölk
die Daseinslandschaften erhellte und verschattete, - auch: wie Dankbarkeit und Achtlosigkeit
der Patienten die mehr als nur fachliche Beziehung zeichneten, - das zog das tiefe Leben in
diese Abende um den Wein. Es war ein weites Feld der Gemeinsamkeit darin, daß Ochsner
fast immer Rat- und Hilfesuchende, im Gespräch freundschaftliche Stütze findende Menschen
im Umgang hatte, - die aber nur selten so, wie viele Patienten vor dem Arzt, an Grenze und
Tod standen.

Wie auch immer es klingen mag: Heinrich Ochsners Berufung auf Dionysos meinte Gegenwart
, keineswegs nur gleichsam historisch antiken Wein, thrakisch-griechischen Gott sowie
griechisches Aufgehen des Gemüts und seiner Tränen im Rauschen einer lösenden Spur, -
doch war dies nicht verneint, sondern aufgehoben. Ein Versuch dichterischer Sprache war
einmal Nachhall dieser Stunden:

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