Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
17. Jahrgang.1997
Seite: 47
(PDF, 31 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-1997-17/0049
Landschaften der Rebe

von Franz Schneller

Blond, schlank, zäh, das ist die Rebe.

Wer sie im frostigen Frühjahr mit gewundenem, knotenreichen Leib an ihren Pfahl gebunden
sieht, bringt schwer den Glauben auf, daß aus diesem unscheinbaren Märtyrer bis zum Herbst
ein strahlender Heiliger werden soll, der seinen Segen an uns verschwendet.
In ihrem ganzen Wesen liegt etwas edel Mildes. Und mehr. Schon das im Rebschatten aufgewachsene
Kind spürt es, daß der Weinstock das Siegel eines Symboles trägt. Er ist das Wahrzeichen
gelobten Landes, die Quelle der Freude neben dem täglichen Brot. Blut und Wein
fließen in der Krypta der Seele ineinander. Trauben im Traume zu sehen, verheißt Glück. Im
Lichte des Geistes bedeutet Korn pflanzen seßhaft werden, die Lanze zum Winzermesser umschmieden
, sich zum Kulturvolk erheben. Die Ahnenforschung der Rebe verzeichnet Funde
aus der Zeit der Braunkohlebildung in der Rhön, Funde in den Steinbrüchen bei Konstanz. Sie
haben die Wissenschaft davon überzeugt, daß der Wildling der Rebe schon jahrtausendelang
auf unserem Boden als beheimatet gelten darf.

In den feuchten Auwäldern des Rheins, wo die wilde Rebe heute Naturschutz genießt, hielt
sie mit der grünen Wiederbesäumung des Stromes erneut ihren Einzug. Die Verbreitung der
Weinkultur betreuten in unseren Zonen Gallier und Römer. Es scheint festzustehen, daß die
Anfänge des Weinbaus in Deutschland hundert Jahre vor Regierungsantritt des Kaisers Probus
begonnen haben. Eine einzelne literarische Quelle, die Dichtung "Moseila" des D.M.
Ausonius aus dem Jahre 370, rühmte schon damals die Hügel in den milden Moselschleifen,
"mit grünender Rebe bedeckt".

Allem Auf und Nieder geschichtlicher Gezeiten hielt die Rebe stand. Selbst die Stürme der
Völkerwanderung vermochten sie nicht zu entwurzeln. Das salische Gesetz stellte sie unter
Rechtsschutz und bestimmte 421 das Strafmaß für Entwendung eines Weinstockes. Dann, im
5. und 6. Jahrhundert, dehnte sich das Reich der Rebe im großen aus. Sie folgte im Siegeszug
jenen vollblütigen Gestalten, die Kelch- und Kreuzesfahne durch unsere Lande trugen.
Schon im 8. Jahrhundert gab es von Klöstern gegründete Musterschulen für den Weinbau.
Und bis zum 16. Jahrhundert hat die Rebe als unentbehrliches Gewächs ihre größte Anbaufläche
gewonnen, ist bis nach Mecklenburg, Ostpreußen und Schlesien vorgedrungen, dort
aber bis auf kümmerliche Reste wieder zum Erliegen gekommen. Nur museal feiert sie neuerdings
in solchen Außenbezirken eine kleine Auferstehung. So zeigt das "Haus der Heimat" in
Meißen, was Weinbau an der Elbe einst gewesen ist. Auf Stichen alter Meister erweist es sich,
wie vertraut dem deutschen Graphiker der Weinstock war. Hier überall ist gut sein, scheinen
die feinen, liebevoll gesetzten Zeichen zu wiederholen, die zu Tausenden um Burgen, Schlösser
, Städte in dichter Fülle kreisen.

Dies denkt auch, wer heute vom Rheinknie bei Basel oder übers Schwäbische Meer nach
Deutschland fliegt. Alles Grün der Vorbergwogen des Schwarzwaldes ist Rebgrün. An den
Vogesen brandet die Rebe hoch. Sie füllt den Mund der Täler, steigt hinauf bis zum dunklen
Wald. An allen Südhängen breitet sie ihren lichten Mantel aus. In der Bucht des Breisgaus
dringt sie im Colombigarten bis nahe an das Freiburger Münster heran und besetzt mit wohlgeordneten
Bataillonen die verwitterten Wälle und Bastionen des Schloßberges. Sie erhebt
sich golden aus dem Lößspeck der Vulkanruine des Kaiserstuhls und aus seinen mürbe gewordenen
schwarzen Tuffen. Selbst neben dem Bahnwärterhäuschen der Rheintalstrecke
schmückt sie sorgfältig, wie mit dem Kamm gestrählt, in schmalen Strähnen den Damm. Sie
rankt sich am Brustgemäuer zerfallener Burgen hoch, umwindet mit ihren Girlanden einsame

* Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung des Kehrer Verlags aus dem Band "Brevier einer Landschaft
" von Franz Schneller, Freiburg 1984, S. 38-45.

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