http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-1997-17/0074
Die Vogelwelt
Jedem Vogel seine Nische
Die Wechselbeziehungen zwischen der Umwelt und einer bestimmten Tier- oder Pflanzenart
bezeichnet man als „ökologische Nische"; bildhaft kann man auch vom „Beruf einer Art
sprechen (Osche 1973, S. 36 ff.). Die Bildung unterschiedlicher ökologischer Nischen - d.h.
die unterschiedliche Nutzung der Umwelt - ermöglicht die Koexistenz verschiedener Arten im
gleichen Lebensraum. Manche Arten sind recht anspruchslos und kommen in den unterschiedlichsten
Lebensräumen vor, wie z.B. die Amsel, andere Arten haben sehr spezifische
Ansprüche.
Welche und wieviele Vogelarten in einem Gebiet vorkommen, hängt entscheidend von der
Zusammensetzung und Ausbildung der Vegetation ab. Es gibt allerdings in unseren Breiten
kaum Vögel, die auf eine oder wenige ganz bestimmte Pflanzenarten angewiesen sind. Meist
sind es strukturelle Merkmale, die über das Vorkommen bestimmter Arten entscheiden, wie
z.B. die Verteilung und Dichte der Sträucher bzw. Bäume, das Vorhandensein von Baumhöhlen
, eine günstige Ausbildung der Krautschicht für die Nahrungssuche usw.
Unter dem Aspekt der Nutzung durch den Menschen ist es entscheidend, welche Kulturen in
einem Gebiet vorherrschen. Einerseits unterscheiden diese sich durch die Wuchsform der kultivierten
Pflanzenarten: beim Ackerbau handelt es sich um krautige Pflanzen, beim Weinbau
um eine strauchförmig wachsende Kletterpflanze und beim Obstbau um Bäume (bzw. Sträucher
beim Spalierobstbau). Andererseits spielen die für die verschiedenen Kulturen unterschiedlichen
Rahmenbedingungen eine Rolle: die Ackernutzung konzentriert sich auf relativ
ebene, großräumig zu bewirtschaftende Flächen, die häufig nur wenige Begleitstrukturen aufweisen
, während beim Weinbau - insbesondere bei der Terrassenkultur - die Begleitvegetation
oft vielfältig und strukturreich ausgebildet ist und die eigentliche Grundlage für die Ansied-
lung verschiedener Vogelarten bildet. Beim Obstbau - zumindest beim extensiven Streuobstbau
- sind die angebauten Bäume selbst die wichtigsten Elemente für die Vögel, vor allem
dann, wenn alte Bäume mit Höhlen vorhanden sind.
Bezüglich der vertikalen Schichtung der Vegetation unterscheidet man zwischen Kraut-,
Strauch- und Baumschicht; jede dieser Schichten kann für die Vögel von Bedeutung sein.
Die Ausbildung der Krautschicht ist besonders für die Nahrungssuche verschiedener Vogelarten
wichtig. Auf magere, lückige Wiesen bzw. Magerrasen ist etwa der Neuntöter angewiesen
, wo der Ansitzjäger günstige Bedingungen zum Erbeuten von Großinsekten vorfindet.
Beim Nahrungserwerb direkt von krautigen Pflanzen abhängig sind vor allem die Körner- und
Samenfresser wie die verschiedenen Finkenarten. Auch für das Brutgeschehen kann die
Krautschicht von großer Bedeutung sein. So legen viele Bodenbrüter (z.B. Goldammer, Zilp-
zalp) ihr Nest unter Grasbulten an. Der Sumpfrohrsänger brütet meist in sogenannten Hochstaudenfluren
mit Brennesseln, Goldrute u.a.
Für die meisten der im untersuchten Gebiet vorkommenden Arten hat vor allem die Strauch-
und Baumschicht eine große Bedeutung, da sie entweder in Sträuchern oder Bäumen brüten,
dort ihre Nahrung suchen oder sie als Sing- oder Ansitzwarte nutzen.
Die Ansprüche der einzelnen Arten gehen von einer Bevorzugung von Flächen mit wenigen,
kleinen Gebüschen bis zum ausschließlichen Vorkommen in größeren Gebüschen oder Feldgehölzen
. Insbesondere die Höhlenbrüter benötigen ältere Bäume, sei es nun in Form von Einzelbäumen
, in Streuobstwiesen oder in Wäldern.
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