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Bernhard Bilharz *
Die Anfänge des Vereinslebens
Mein Thema für den heutigen Abend: Ende des Zweiten Weltkrieges in Kenzingen. Zusammenbruch
und Neubeginn der Vereine und damit verbunden auch der gesellschaftliche Neubeginn
.
Gegen Ende des Krieges war ich an der Front in Holland und anschließend in englischer
Kriegsgefangenschaft. In der Gefangenschaft hatten wir viel Zeit zum Diskutieren: über den
totalen Zusammenbruch Deutschlands, was wird werden, was können wir tun? Ende Oktober
erhielt ich dann das erste Lebenszeichen von zu Hause. Ich erfuhr, was sich in Kenzingen gegen
Kriegsende zugetragen hatte, von den Zerstörungen und - was besonders schmerzlich war
- daß viele Freunde nicht mehr am Leben waren.
Was ich immer vorausgesagt hatte: "An Weihnachten bin ich daheim.'", traf dann auch ein.
Am 10. Dezember 1945 floh ich aus dem Gefangenenlager und kam zwei Tage vor Weihnachten
zu Hause an. Im Nachhinein betrachtet bedeutete die Flucht ein großes Risiko. Aus
der Gefangenschaft Geflohene wurden von den Franzosen abgeholt und in Frankreich in ein
Bergwerk gesteckt. Was tun? Zusammen mit meinem Freund Alfred Beck bastelte ich einen
Entlassungschein aus einem Lazarett. Dabei verwendeten wir einen alten Stempel des Kenzin-
ger Vermessungsamtes, den wir bis zur Unleserlichkeit zurechtschnitzten.
Arbeit gab es genug in Kenzingen. Besonders die Bauberufe waren gefordert. In Kenzingen
waren durch den Krieg 135 Häuser zerstört. Maurer, Zimmerleute, Glaser, Maler, Gipser,
Blechner und Schlosser mußten zum größten Teil Altmaterial verwenden. Die Elektriker hatten
ihr Können zu beweisen, um mit alten Materialien wieder brauchbare Anlagen zu schaffen
. Glühbirnen waren knapp. Die staatlichen Betriebe druckten, um sich vor Diebstahl zu
schützen, auf die von ihnen verwendeten Birnen den Wortlaut "Gestohlen bei der Bahn, der
Straßenbahn, etc." auf.
Bei meiner Rückkehr aus der Gefangenschaft war mein Vater krank. Daher trat ich eine
Bäckerlehre an, um einmal den väterlichen Betrieb übernehmen zu können. Eigentlich wollte
ich ja studieren. Es war schon schwierig, damals aus dem, was als "Mehl" angeliefert wurde,
richtiges Brot herzustellen. Wir mußten Gerste, Kleie und puren Mais verbacken. Bei der Verwendung
von purem Mais kamen die Brote wie Backsteine aus dem Ofen. Man war dauernd
unterwegs, um von den Bauern etwas Getreide zu erhalten, das man dann in Mehl umtauschte.
Nur so war es möglich, den Leuten zu helfen. 1947 kam dann das erste Mehl aus Amerika.
Wir konnten es kaum fassen: schneeweiß, wie wir schon seit Jahren kein Mehl mehr gesehen
hatten! Es war kaum zu begreifen, daß man dieses schöne Mehl mit Kleie, Schrot und Mais
mischen mußte.
Die Metzger hatten ähnliche Probleme. Die Gemeinden erhielten jede Woche Auflagen, was
sie an die Besatzungsmacht abzuliefern hatten. Das Vieh, die Schweine, die Hühner usw. waren
genau registriert und von ihnen wurden bestimmte Abgaben gefordert. Auch landwirtschaftliche
Produkte wie Kartoffeln, Getreide usw. mußten abgeliefert werden. So war es
nicht verwunderlich, daß der Schwarzhandel blühte. Der Hecklinger Bürgermeister Eschbach
- als dr Dres bekannt - brachte in jener Zeit ein Pfund Salz auf die Emmendinger Kommandantur
mit dem Bemerken: "Wenn ihr scho alles gholt hen, bring ich euch noch Salz, damit
ihr e richtige Herdepfelsupp mache könne".
* Bernhard Bilharz ist Geburtsjahrgang 1927.
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