Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
18., 19. und 20. Jahrgang.1998-2000
Seite: 178
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zudem von ihren Frauen und Kindern begleitet. Die Gärten plünderten sie, kaum dass im
Frühjahr ein paar Kräutlein wuchsen. Die Kirche raubten die Soldaten aus und zogen sich die
Meßgewänder an. Den Menschen auf der Straße rissen sie die Kleider vom Leib. Es herrschten
unbeschreibliche Zustände. Von den Kenzinger Bauern traute sich kaum einer, seine Felder
außerhalb der Mauern zu bestellen. Immer wieder tauchten nämlich vagabundierende Soldaten
auf. Hunger, Schwäche und mangelnde Hygiene führten in der überfüllten Stadt zu Seuchen
und Epidemien. Die Soldaten starben haufenweise, ebenso die Bürger an Hauptweeh, einer
pestartigen Seuche.

Freund und Feind waren kaum noch zu unterscheiden. Denn alle plünderten und forderten hohe
Abgaben. Dieser schreckliche Krieg hat die Kenzinger Bevölkerung um über 80 % reduziert
. Schrecklicher Höhepunkt dieses Krieges war für Kenzingen die fast vollständige Zerstörung
1638 durch Bernhard von Weimar. Kenzingen war 1648, zum Ende des Dreißigjährigen
Krieges, eine völlig zerstörte, verarmte und entvölkerte Stadt.

Die Kriege hörten nicht auf. Denn der Rhein war nun zum Grenzfluß zwischen Frankreich
und Österreich geworden. Kenzingen war Grenzstadt. Kenzinger wurden auch vielfach als
Soldaten zwangsrekrutiert. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts bestand eine Tagesration eines
Kenzinger Soldaten aus 2 Pfund Mischbrot, 1 1/4 Pfund Fleisch und 1 1/2 Liter Wein. Im Zuge
der französischen Revolution kam es wieder zu Einquartierungen in der Stadt. Gut lebten
die oberen Chargen des Militärs auf Kosten der Kenzinger Bevölkerung, gleichgültig ob sie
aus Frankreich oder Österreich kamen. Nicht nur neuen und alten Wein, sondern auch Kirschwasser
, Champagner, Likör und Kaffee mit viel teurem Zucker verlangten die Offiziere. Sie
waren häufig mit ihren Frauen, und Kindern, ja sogar mit ihren Dienstboten einquartiert. Die
französischen Offiziere nahmen morgens ein Frühstück, bestehend aus Kaffee und Brot, zu
sich. Die Deutschen bevorzugten noch Bier und Wein am Morgen. Reich gedeckt war der
Mittagstisch der Herren Offiziere: Geflügel und Wild, üppig gewürztes Fleisch, Gemüse und
Salat, Obst in Hülle und Fülle, Zuckerbrot und Makronen. Kein Wunder, dass die Damen
anschließend mit dem sogenannten "Sauerwasser", also Mineralwasser, wieder etwas für ihre
Gesundheit tun mussten. Nicht nur beim Frühstück zeigte sich die andere Lebensweise der
Franzosen, sondern auch bei der Abendunterhaltung: Sie tanzten abends öfters auf Bällen
beim Engelwirt, während die Deutschen sich bei Trinkgelagen vergnügten.

Andere Zeiten, andere Sitten und andere Moralvorstellung. Besonders hart und unerbittlich
traf der Bannstrahl der Gesellschaft, auch der Kenzinger, im 18. Jahrhundert ledige Mütter.
Am 24. Mai 1745 musste eine auswärtige Frau, die - wie es in der Quelle heißt - "gekindelt"
hatte, dem Stadtschreiber Rede und Antwort stehen. Das Mädchen stammte aus Wagenstadt,
war jedoch keine Bürgerstochter, sondern nur die Tochter armer Tagelöhner, dazu unverheiratet
. Der Vater ihres soeben geborenen Kindes war ein österreichischer Soldat, der im selben
Haus einquartiert gewesen war. Wie sich herausstellte, war dies bereits ihr zweites Kind. Das
erste war verstorben. Ledige Mütter wurden damals nicht nur geächtet, sondern auch bestraft.
Katharina, so hieß die junge Frau, wurde ein dreiviertel Stunde mit einem Strohkranz öffentlich
zur Schau gestellt. Dann schaffte man Mutter und Kind schleunigst aus der Stadt. Sie
durften sich bei Strafe nicht mehr sehen lassen. Dass dieser Säugling kaum Überlebenschancen
besaß, liegt auf der Hand. Auch solche Ereignisse sind Teil der Kenzinger Geschichte.

Breiten Raum nimmt im 2. Band der Stadtgeschichte die Kirchengeschichte ein. Der Leser erfährt
hier vieles zu der vor 200 Jahren abgerissenen Peterskirche außerhalb der Stadtmauern,
zu den hier ansässigen Franziskanern, zu den Johannitern, zu den seit dem Anschluss an Baden
im 19. Jahrhundert hier wachsenden evangelischen Kirchengemeinde und natürlich auch
zur St. Laurentiuskirche und den an ihr wirkenden Pfarrern. Auch diese waren vielfach nur

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