Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
21., 22. und 23. Jahrgang.2001-2003
Seite: 96
(PDF, 49 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2003-21-23/0098
Auch in den folgenden Jahren hatten die wenigen Einwohner Kenzingens unter Truppendurchmärschen
, Einquartierungen und wiederholter Zerstörung der bereits ruinierten Stadt
bzw. der Ansätze zum Wiederaufbau zu leiden. Hinzu kamen die Belastungen durch immer
neue Kontributionsforderungen sowie die allgemeine Unsicherheit, verursacht durch die verrohte
Soldateska, marodierende Söldnerbanden und die das Land nach den letzten Lebensmitteln
und Wertgegenständen durchstreifenden „Partheyen" - jene berüchtigten Requirierungsund
Plünderungstrupps, die von den Heerführern in Feindes- wie in Freundesland zur materiellen
Erhaltung ihrer Armeen ausgesandt wurden.

Als im Oktober 1648 nach drei Jahrzehnten Krieg und jahrelangen Verhandlungen in Münster
und Osnabrück die Friedensverträge unterzeichnet wurden, bedeutete das aber noch nicht das
Ende von Not und Elend. Denn unter dem Vorwand, dass die vereinbarte Kriegsentschädigung
noch nicht entrichtet sei, blieben schwedische und französische Besatzungstruppen für zwei
weitere lange Jahre im Land. Zwar kam es nicht mehr zu Kampfhandlungen, aber für die verarmten
und heruntergekommenen, kriegstraumatisierten Bürger und Bauern in den oftmals
stark oder - wie Kenzingen - völlig zerstörten Städten und Dörfern des Breisgaus hielt mit der
gnadenlosen Auspressung des Landes ein Quasi-Kriegszustand in seiner ganzen Härte und
Brutalität noch bis zum Jahr 1650 an17.

Und die Bilanz für Kenzingen nach dem Ende des bis dahin verderblichsten Krieges in der
Geschichte der Stadt? 1648, im vierhundertsten Jahr ihres Bestehens, lag die vor dem Krieg
blühende Stadt mit etwa 2000 Einwohnern, durch die die wirtschaftlich und militärisch bedeutende
Landstraße von Basel nach Frankfurt führte, bis auf die Kirche und wenige Häuser in
Ruinen, die Bevölkerungszahl war auf gerade noch 300 Personen zusammengeschmolzen,
Ackerfluren, Rebkulturen und Obstbäume waren ebenso wie der Kenzinger Stadtwald auf
Jahre hinaus ruiniert und verdorben, Zug- und Nutzvieh, Werkzeug und Hausrat geraubt oder
zerstört, Stadt und Bürger verarmt, ihre Finanzen zerrüttet'8. Unter diesen kläglichen Bedingungen
begann der Wiederaufbau der fast völlig zerstörten Stadt.

Die Rats- und Gerichtsprotokolle der Stadt Kenzingen sind dafür eine aussagekräftige Quelle.
Sie setzen leider erst im Herbst des Jahres 1655 ein, vorausgegangene Jahrgänge, auch aus der
Zeit vor der Zerstörung der Stadt, die damals noch vorhanden waren, sind später verlorengegangen19
. Aus den Einträgen lässt sich ein zumindest grobes Bild davon gewinnen, vor welche
Vielfalt von Aufgaben sich Schultheiß, Bürgermeister und Räte gestellt sahen und mit welchen
Maßnahmen und Entscheidungen sie versuchten, den Wiederaufbau der Stadt zu fördern und
zu lenken. Vordringlich waren neben Anreizen zur Wiederbevölkerung - die Einwohnerzahl
betrug ja nur noch 15% des Vorkriegsstandes - der Wiederaufbau der Stadt und ihrer, modern
gesprochen, öffentlichen Infrastruktur sowie die Regelung von Eigentumsfragen, die sich aus
dem massiven Bevölkerungsverlust zwangsläufig ergaben. Dabei bleibt stets zu berücksichtigen
, dass in den Rats- und Gerichtsprotokollen nur die amtlicherseits als mitteilenswert eingestuften
Vorgänge festgehalten und diese aus „behördlich"20 gefilterter, offizieller Sicht dargestellt
sind. Dessen ungeachtet tritt uns aus den Entscheidungen und Beschlüssen, vor allem
auch aus den vielen, fast in jeder Ratssitzung verhandelten Streit-, Scheit- und Schlaghändeln
zwischen Kenzinger Einwohnern die Lebenswelt der Stadt und ihrer Menschen farbig und
lebendig genug in spannendem Facettenreichtum entgegen.

Es ist hier nicht der Ort, eine ausführliche Darstellung der Alltagsverhältnisse im Kenzingen
der „Nachkriegsära" zu geben. Ein paar willkürlich ausgewählte Schlaglichter auf die Lebensverhältnisse
unserer Vorfahren vor rund dreieinhalb Jahrhunderten seien trotzdem gesetzt. Der
wohl deutlichste und prinzipiellste Unterschied zu den uns vertrauten Verhältnissen war die
viel stärkere Überwachung und Reglementierung des Einzelnen, die mit der Intensivierung territorialpolitischer
Herrschaft nach Innen und mit dem Aufbau frühmoderner Verwaltungsstrukturen
schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts eingesetzt hatte. Diese enge Reglementierung

96


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2003-21-23/0098