Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
21., 22. und 23. Jahrgang.2001-2003
Seite: 97
(PDF, 49 MB)
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zeigt sich etwa in der Geldstrafe für ungebührliches Lachen auf dem bürgerlichen Wachgang
in der Neujahrsnacht ebenso wie im wiederholten Verbot des „ Thubac trinckhens " (Rauchens)
oder im Ratsverbot, die Stadt am Sonntag vor dem Gottesdienst ohne Erlaubnis des Schultheißen
oder Pfarrers zu verlassen. Dies setzte sich fort im Verbot für Kenzinger Bürgerstöchter,
bei Verlust ihres Bürgerrechts ohne Vorwissen der Obrigkeit zu heiraten, und gipfelte in Eingriffen
in das, was wir heute als unsere persönliche, höchst private und intime Angelegenheit
empfinden, etwa wenn drei Kenzinger Ehemänner zu Geldstrafen verurteilt wurden, weil sie
„ihre weiber" nach dem Kindbett „vor gepührendter Zeit beschlaffen" hatten, oder wenn die
Hinzuziehung einer anderen Frau als der städtischen Hebamme zu einer Geburt ebenfalls mit
Geldstrafen geahndet wurde21. Die Welt außerhalb der Stadtmauern war nicht ungefährlich,
nicht nur wegen umherstreifenden zwielichtigen Gesindels, sondern, vor allem im Winter, auch
wegen der Wölfe. Im Januar 1661 wurde von ihnen ein Schwein angefallen und im September
1667 rissen sie eine Kuh; im Juli 1670 setzte der Rat eine Abschussprämie von einem halben
Gulden für jeden zur Strecke gebrachten Wolf aus22.

Das Leben der Einwohner verlief auch innerhalb der Mauern nicht konfliktfrei, wie die fast in
jeder Ratssitzung verhandelten Schlag- und Schelthändel zeigen. Auch wenn es nur einmal
explizit erwähnt wird, ist davon auszugehen, dass nicht wenige dieser Streitigkeiten aus Spannungen
zwischen Alteingesessenen und neu Zugezogenen entstanden. Dabei saßen nicht nur
die Zunge und die Fäuste locker, sondern gelegentlich auch der Degen, so etwa, als im Juli
1661 Maurermeister Bartlin Meßmer - wir werden ihm bei städtischen Baumaßnahmen wiederbegegnen
- seinen zum Wachgang eingeteilten Mitbürger Andreas Klingenmayer „von der
wacht auff die Klingen außgefordert"2\ also von seiner Wache weg zum Degenduell gefordert
hatte. Durchaus möglich, dass bei dieser Auseinandersetzung die eben genannten Spannungen
eine Rolle spielten, war doch Meßmer damals erst seit zwei Jahren Kenzinger Bürger, während
sein Kontrahent einer alteingesessenen, ratsfähigen Kenzinger Bürgersfamilie angehörte24. Oft
spielte Alkohol bei solchen mit Worten, Fäusten oder gezogener Waffe ausgetragenen Auseinandersetzungen
eine Rolle. Drei Kenzinger Bürger waren für ihre Trinkfreudigkeit und -festig-
keit und die immer wieder daraus erwachsenden Streitigkeiten so berüchtigt, dass der Rat ihnen
im September 1667 nach (!) neun Uhr abends den Genuss von Wein verbot; „Jedoch wan
Etwan Ein Ehrliche companey bürger in Einer Zech begriffen vndt wohl Endlich vnder Ein
ander wehrn [wären], [diese] von diesem gebott eximiret [ausgenommen] sein sollen1''. " Immer
war in solchen Schelthändeln und gegenseitigen Schmähreden die persönliche Ehre der
Kontrahenten (und Kontrahentinnen) im Spiel und bedroht - ein soziales Kapital, das so hoch
eingeschätzt wurde, dass die gewechselten Schmähungen und Beleidigungen stets nur mit
einer offiziellen Aufhebung durch den Rat als unparteiischem Dritten aus der Welt geschafft
werden konnten.

Um den Wiederaufbau und die Wiederbevölkerung der Stadt zu fördern, wurde im November
1655, ob vorsorglich oder vor dem Hintergrund konkreter Fälle bleibt unklar, im Rat „einhellig
beschlossen", dass die Besitzer zerstörter Hofstätten diese an kaufinteressierte Fremde
„vmb ein[en] billichen Kauf Schilling" verkaufen oder andernfalls selbst verpflichtet sein sollten
, ihr Anwesen innerhalb Jahresfrist wiederaufzubauen. Sollte letzteres nicht erfolgen, solle
„Zs.tinem] ^.[hrsamen] rath offen[-] vnndt beuorstehn, solichen platz selbsten ahnzuegreiffen,
vndt nach belieben [...] zue verkhauffen vmb so viel, als recht vnndt billich sein würdet"2''. Der
Ratsbeschluss setzte die Besitzer solcher zerstörter Hofstätten, die das Kaufinteresse ansied-
lungswilliger Fremder fanden, unter massiven Druck, ihre Anwesen entweder an diese zu verkaufen
oder sie andernfalls unter Androhung der Zwangsenteignung selbst binnen Jahresfrist
wieder aufzubauen. Diejenigen Hofbesitzer, denen dafür die Mittel fehlten, wurden somit durch
diese Ratsverfügung dem „Auskauf' durch bauwillige Neubürger ausgeliefert. Ob dieser Ratsbeschluss
tatsächlich - und falls ja, wie häufig er zur Anwendung kam, ist schwer zu sagen. Im
untersuchten Zeitraum fand sich zumindest in den Rats- und Gerichtsprotokollen kein Fall, in

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