Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 52
(PDF, 30 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2005-24-25/0054
Sollte ich sterben und
dieses Tagebuch in die
Hände meines Papas und
meiner Mama gelangen,
wollte ich, daß sie wissen
, wie sehr ich sie
geliebt habe.'26 Jose
führte seine Aufzeichnungen
fort, las viel in
diesen Tagen zuhause
und in der Fabrik, wobei
er sich besonders mit
dem Mittelalter beschäftigte
und plante, eine
Erzählung mit dem Titel
„Die Reise" zu schreiben
(vgl. 36), in welcher er
nicht die lokalen Eigenheiten
schildern wollte,
sondern die Gefühle,
welche Trennung, Abwesenheit
und Wiederkehr beim Reisenden hervorrufen. Ich hatte das Gefühl, ein wenig mein Testament
zu schreiben und zu hoffen, daß jemand meinen Eltern das Heft mit diesen Aufzeichnungen
bringen würde.ni Dass sein Tagebuch ihnen auch Geheimnisse enthüllen würde, von
denen sie bis dahin nichts geahnt hatten und die sie sicher missbilligen würden, versucht Jose
mit einem Zitat von De Mauriac (41) zu erklären, nach welchem Lügen helfen, Tränen und
Schmerz zu vermeiden. Das habe ich mir Mama betreffend oft gesagt, und dies ist der
Grund, warum ich ihr so viel verheimlicht habe. Ich wäre ohne Mitleid mit ihr gewesen,
wenn ich sie meine Ungläubigkeit oder diejenige Seite meines Lebens hätte ahnen lassen, auf
die sie nie gekommen ist. Ich hätte auch wie ein braves Kind leben müssen, was schwer, aber
vielleicht möglich gewesen wäre und hätte alles das glauben müssen, was sie glaubt. Das ist
(im Augenblick) unmöglich.™ Hier stellt der Sohn die Liebe zur Mutter über die
Aufrichtigkeit, weil er überzeugt ist, dass seine Persönlichkeit zuallererst und am meisten
durch diese Liebe geprägt wird. Mich ihr zeigen, so wie ich bin, das heißt, sie erkennen
lassen, daß in meinem Leben nichts so wichtig war und nie so wichtig sein wird, wie die
Liebe, die ich für sie hege.129

Gegen Ende Dezember schien sich die Lage zu Joses Enttäuschung zu entspannen: Man hört
fast keine Kanonen mehr. Die Deutschen beginnen eine Großoffensive in Belgien. Wir fragen
uns, für wie viele Jahre wir vielleicht hier sein werden1™, trägt er am 22. Dezember 1944 ein.
In der Tat bewegten sich deutsche Truppen wieder nach Westen. Die Kenzinger Franzosen hatten
geglaubt, dass der Rhein bald überquert würde, und dann wären es nur noch zwei Schritte
bis zu ihnen und ihrer Befreiung gewesen. Sie wussten, dass die deutsche Befestigungslinie,
die berühmte „Siegfriedlinie" (vgl. 24), in ihrer Gegend ohne Bedeutung war: Ein paar zu
Bunkern umfunktionierte Keller, in denen sich niemand aufhielt. Hätte man Fallschirmspringer

126 Cabanis, Les profondes annees, S. 234 f.

127 Ebd., S. 237.

128 Ebd., S. 239.

129 Ebd.
"° Ebd.

Abb. 40: Evakuierte aus den Rheindörfern auf der Flucht ins Bleichtal.

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