Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 66
(PDF, 30 MB)
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Bombentrichter und verkohlten Gebäuden. Zu Fuß durchquerten wir die Stadt mit ihren verbrannten
und schwarzen Häusern und erreichten per Auto Bruchsal, wo ich mein Tagebuch
weiterführte, während ich auf das Mittagessen wartete. Bruchsal war vielleicht noch beeindruckender
als Karlsruhe, denn die Stadt ist kleiner und die Zerstörung konnte noch vollständiger
sein. Mit Ausnahme eines verschonten Viertels war es eine tote Stadt: Bruchstücke
von Mauern, Berge von Backsteintrümmern und schwarzem Putz, aus denen meistens die
Kamine noch in den Himmel ragten. Wir hatten vor, nach dem Mittagessen nach Mingolsheim
aufzubrechen und am folgenden Tag Heidelberg zu besuchen.

Wenn die Bombardements zu stark waren, verschwanden wir in Kellern, und ich denke immer
noch an den eines zauberhaften, bereits zerschossenen und verbrannten Rokokoschlosses,
dessen steil aufragende, zahnlose Ruinen, die ich in der Nacht im Schein der krepierenden
Bomben sah, mich an das Schloß von Bonne-Biche und Beau-Minon in den Märchen der
Comtesse von Segur (48) erinnerten. Zu Fuß gelangten wir von Bruchsal nach Mingolsheim.
Unterwegs mußten wir uns immer wieder in Löchern verstecken, die alle zwanzig Meter am
Straßenrand zu diesem Zweck gegraben worden waren. Zweimal hatten wir richtig Angst: Das
erste Mal haben die Flugzeuge im Sturzflug einen auf der Strecke neben der Straße liegengebliebenen
Zug unter Feuer genommen, und ich habe wirklich geglaubt, es sei um mich
geschehen. Das zweite Mal griffen sie ein Dorf an, zu dem wir gerade gelangten, und die
Maschinengewehrsalven prasselten von allen Seiten um uns herum. Ich lag mit B. flach auf
dem Grund eines Loches. Ein Pilot hatte uns bestimmt gesehen, denn sein Flugzeug kam im
Sturzflug geradewegs auf uns zu. Die Kugeln waren rotglühend, pfiffen ganz knapp über das
Loch hinweg, aber nicht hinein. Am Abend schliefen wir auf Stroh im Rathaus.

Der Österreicher hatte die Idee gehabt, uns zu unserem Vergnügen über das Reiseziel hinaus
nach Heidelberg zu führen, weil wir in Frankreich Studenten waren und weil wir daher diese
schöne Stadt, die, wie er versicherte, überhaupt nicht bombardiert wurde, kennen müßten. Also
machten wir uns am frühen Morgen erst im Auto, dann zu Fuß auf den Weg. Die Flugzeuge
waren da und griffen die Straße mit Maschinengewehrfeuer und Bomben an. Wir verbrachten
die meiste Zeit in den Gräben. Zehn Kilometer vor Heidelberg wollten wir nicht weiter. Unter
ständigem Flugzeugbeschuß gelangten wir zur Mittagszeit zurück nach Mingolsheim, schliefen
am Nachmittag wieder im Heu und beabsichtigten, am Abend aufzubrechen nach Karlsruhe -
und Kenzingen, das uns wie das Gelobte Land erschien.

Erst mußten wir lange warten, bevor wir einen Lastwagen fanden, der uns und unsere zwei
Flaschen mitzunehmen bereit war. Ein schrecklicher Gedanke, in diesem Dorf festzusitzen
inmitten von sich ineinander verkeilenden Militärkolonnen, von Flüchtlingen, die ihre Bündel
schleppten, und Soldaten, die von der Front kamen. Plötzlich wurde Alarm gegeben, und in der
Dunkelheit überflogen uns Flugzeuge; es herrschte eine nervöse Angst. Die Straße war so verstopft
, daß unser Lastwagen oft lange anhalten mußte, vor, hinter und neben sich Schlangen
von Autos, die es so eilig hatten, daß keines weder vor noch zurück konnte. In Bruchsal mußten
wir auf einen anderen Laster umsteigen. Als wir Flugzeuge hörten, versteckten wir uns in den
Ruinen des ausgebrannten Schlosses. Gegen zwei Uhr morgens nahm uns ein Lastwagen nach
Durlach, einem Vorort von Karlsruhe, mit. Nach zwei Stunden des Wartens, des Auf- undAbge-
hens, Weiterfahrt an Karlsruhe vorbei nach Ettlingen und von dort in einem anderen Auto
durch Baden-Oos nach Ottersweier, ungefähr 20 km vor Offenburg. Dort warteten wir auf den
Abend, und es schien uns, als hätten wir die Hölle verlassen. Es war der 24. März, mein 23.
Geburtstag. Aber kein Vergnügen.

Schließlich fuhr uns ein Wagen nach Offenburg, wo wir in einem Keller schliefen und auf den
Zug warteten, der uns im Morgengrauen nach Kenzingen zurückbrachte. An jenem drückenden
Sonntagnachmittag wurde ich von einer Traurigkeit und Mutlosigkeit ergriffen, die nichts
anderes waren als tiefe Erschöpfung. Am Abend ging ich mit Anna spazieren. Wie eintönig das
doch alles war.

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