Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 93
(PDF, 30 MB)
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Schlage doch gewünschte Stunde

Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang allerdings Cabanis' Roman Le bonheur
du jour, erschienen bei Gallimard, Paris. Nicht nur, dass dieses Buch mit dem „Prix de la Cri-
tique" ausgezeichnet wurde, Cabanis schenkte auch ein Exemplar davon Anneliese Fleig mit
der Widmung: Für Anneliese und ihre liebe Mutter. Wenn das Buch sie nicht interessiert, also
sollen sie es annehmen als Zeugnis meiner Dankbarkeit, meiner Freundschaft und meiner
Liebe für Deutschland, denn ich spreche unter der Maske Onkel Octaves. Auf baldiges Wiedersehen
, Jose Cabanis 22-3-62.

Was mit diesen Worten gemeint ist, wird besonders deutlich an der Stelle, wo der Leser erfährt,
was Deutschland für den Onkel Octave (63) bedeutet. Diese Romanfigur hat Cabanis nach
einem Verwandten, der tatsächlich gelebt hat, geschaffen. Die angesprochene Passage, ein fiktiver
Bericht über einen Deutschlandaufenthalt des Onkels, versprüht nicht nur ein Feuerwerk
auffallender Ähnlichkeiten und Bezüge zu Cabanis' Zeit in Kenzingen, sie ist auch eine in
höchstem Maße konzentrierte Beschwörung der wunderbaren Zeit, die Jose Cabanis im Breisgau
verleben durfte trotz und zum Teil aufgrund der besonderen Umstände. Dieser Auszug aus
dem Roman Le bonheur du jour in der von Katharina Hoke verfassten und 1962 bei Rowohlt
veröffentlichten deutschen Übertragung Schlage doch gewünschte Stunde ist das schönste und
ergreifendste Danke, das Jose Cabanis Kenzingen und seinen Einwohnern sagte.

Lange vor dem Ersten Weltkrieg hatte er [Onkel Octave] zwei Jahre in Deutschland verbracht,
und jedesmal, wenn er in einer Zeitung, einem Buch oder auf einem Plakat den Namen
Freiburg las, klopfte sein Herz. Er war damals achtzehn Jahre alt und wohnte am Fuß des
Hügels, in der ersten Straße links hinter dem Schwabentor. In allen Gasthäusern hing neben
einem Christus das Porträt eines Mannes mit einem langen weißen Bart - der Großherzog von
Baden. [...] Im Frühling, wenn die Wiesen wieder zum Vorschein kamen und all der Schnee zu
sprudelndem Wasser wurde, nahm Octave ein Buch, und seine Wirtin, Frau Wonnental, sah ihn
bis zum Abend nicht wieder. Er schritt kräftig aus und machte ziemlich weite Spaziergänge,
bald durch die Ebene bis zum Rhein, bald im Schwarzwald. In sein Buch blickte er kaum. [...]

Es gab also auf der Welt ein Land, wo man glücklich sein konnte. Hier, wo die Bäche in Wasserfällen
zu Tal stürzten, wo die Wege Octave unter blühenden Bogengängen hindurchführten, wo
sich die Wiesen an den Ufern des Rheins breiteten. Und da war - mit seinem abwechslungsreichen
Licht, mit seinen unerwarteten Ausblicken, mit seinen nicht enden wollenden Wegen,
mit seinem Duft nach Laub und seiner Einsamkeit - der unermeßliche deutsche Wald, aus dem
er oft wie trunken zurückkam. Endlich wußte er, was er auszudrücken hätte: dieses unerklärliche
Glücksgefühl, das er empfand, wenn er einsam unter den Bäumen dahinging. [...] Selbst
der Gedanke an den Tod schreckte ihn hier nicht. Eilig und ohne Reihenfolge notierte sich
Octave einige Verszeilen, die ihm in den Sinn kamen [...]. Der Weg schlängelte sich - nun
wieder im Schatten der Bäume - von neuem den Hügel hinauf. Ein wenig weiter unten sah man
die kleine Lichtung, wo ein Streifen hohen Grases den Lauf des Baches andeutete, dann, nach
einer Wegbiegung, befand sich Octave wieder in dem riesigen, stillen Wald, der hoch und von
Sonnenstrahlen durchflutet war wie eine Kirche. Manchmal ließ ein Rascheln im Gezweig
Hirsche vermuten, die man jedoch niemals zu Gesicht bekam. Am Waldsaum, da, wo die
Getreidefelder bis an den Wald heranreichten und sich seinen Windungen anschmiegten, flog
plötzlich mit schwerem Flügelschlag und rauhem Schrei ein Auerhahn auf. [...]

Der Weg machte noch einige Windungen und führte dann rasch in ein kleines Tal hinab, aber
diesmal erreichte er keine Wiese, keine Quelle [...]: Er sprang zu einem Dorf hinunter, das nur
aus einigen Häusern und einer Kirche mit einem Zwiebelturm bestand. Die meisten dieser einsamen
Dörfer trugen den Namen eines Baches: Heimbach, Bombach, Salsbach, ein anderes

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