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Abb. 63: Cabanis
«öc/z seiner Kirche: Waldkirch
. Zwischen den Häusern verlor
sich der Weg im Morast, und
man wußte nicht genau, wo
eigentlich der Misthaufen begann
, auf dem Hühner herumpickten
und der einen starken
Geruch ausströmte. Hier begegnete
Octave pfeife rauchenden
Bauern, die ihn ehrfürchtig
grüßten, wahrscheinlich wegen
des kleinen Buches, das er in der
Hand trug. Oft begegnete er auch
hübschen Mädchen mit blonden
Zöpfen. Schüchtern sahen sie ihn
an und lachten, wenn er vorbei
war. Selbst in diesen Dorfkirchen, bei diesen Bauern, die sicher einen ernsteren Schmuck
vorgezogen hätten, fand sich der erlesenste barocke Reichtum: [...] Bei den letzten Häusern
begannen die Obstgärten mit ihren blühenden Bäumen. [...] War das Tal breiter, so durcheilte
es ein kleiner Fluß, der zur Ebene und zum Rhein hinunterfloß. Auch Herden zogen hindurch.
Noch war das alles von der Zivilisation verschont. [...]
Im zweiten Jahr machte Octave nicht mehr so ausgedehnte Spaziergänge, und wenn er zu den
Hügeln und zum Wald aufbrach, so ließ er sein Buch bei Frau Wonnental, seiner Wirtin am
Schwabentor. Einmal, als er in das Restaurant, wo er jeden Abend aß, eintrat, hörte er im
Nebenzimmer singen und auf einem Klavier hämmern. Er öffnete die Tür einen Spalt weit und
sah hinein: So lernte er Ilse Kies kennen. [...] Sie war die Tochter des Gastwirts. Ihre Augen
waren blau, ihre Lippen voll und wurden der Küsse nicht müde. In der Vorhalle oder öfter noch
im Treppenhaus, von wo aus man die Küche und vor dem Herd ihren Vater sehen konnte, hielt
sie ihn in ihren Armen. Hier erlebte Octave die heftigen, berauschenden und ungeschickten
Küsse der Jugend. [...] Ilse Kies hegte große Achtung für Octave, weil er Student war. Durch
sie erfuhr er, daß das Deutsche die sanfteste aller Sprachen ist, wenn es von einer Stimme
gesprochen wird, die man liebt. Bei Einbruch der Dunkelheit verließen sie die Stadt auf
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