Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 132
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58 Religiöse Grundlage

Der Glaube an die Existenz des christlichen Gottes ist für Cabanis eine sich zwangsläufig aus
dem Evangelium ergebende Selbstverständlichkeit. Bei allen möglichen Interpolationen und
unterschiedlichen Interpretationen ist für ihn die Grundbotschaft des „Wenn ihr nicht werdet
wie die Kinder..." das absolut Neue, das alle bisherigen Vorstellungen ablöst. Dieser Satz ist
der Ausgangspunkt für Cabanis' ganz persönlichen Gottesbeweis: Er sei so neu und einzigartig
, dass kein Mensch ihn formuliert haben könne, denn niemand hätte Christus und seine
Menschwerdung erfinden können. Und da Christus nicht erfunden worden sein kann, muss er
wirklich in dieser Welt gelebt haben. Kein noch so genialer Geist hätte das Evangelium in seiner
Vollkommenheit erfinden können. Für Cabanis ist es der Widerhall göttlicher Existenz auf
Erden und wird daher jeder Kritik bis zum Ende aller Tage widerstehen. Die Heiligen, ist er
überzeugt, sind dem Evangelium trotz aller Hindernisse gefolgt und sind lebendiger Beweis für
die übermenschliche Kraft des Glaubens an die Schrift. Er bejaht auch die Kraft des Gebets,
was für ihn die auf Erfahrung beruhende Tatsache ist, dass man das, was man erbittet, auch
erhält - unter anderer Form vielleicht, aber immer zum Besten des Bittstellers.
Um zu beten, müsse man glauben. Für Cabanis ist die Distanz zwischen Gott und den Menschen
so groß, dass Glaube nicht etwas Gewolltes, vom Menschen Bestimmtes ist, sondern
eine Gabe Gottes selbst. Diese Grundwahrheit habe die katholische Kirche immer gelehrt, aber
sie habe den Menschen selbst als denjenigen gesehen, der sich in den Zustand des möglichen
Empfangs der Gnade versetzen könne. Wie aber kann er dies erreichen? Hier schließt sich der
Kreis für Cabanis: Um sich für die Gnade bereit zu machen, genügt es, bereit zu sein, das Evangelium
mit dem Gemüt eines Kindes zu lesen oder vielmehr zu hören. Man kommt immer
wieder auf das Gleiche: man muß klein werden. Dann öffnet sich das Reich Gottes; Freude
entsteht, Versprechen werden wahr, Klarheit, Glück, alles wird einem gegeben, selbst wenn
man in Tränen ist. Und Sie wollen noch einen Beweis? 323

Aus diesem tiefen, für Cabanis selbstverständlichen Glauben heraus erklärt sich, was Cabanis
immer zwischen den Zeilen sagte, obwohl er es eigentlich für unsagbar hielt: Daß die Religion,
so sehr mein Leben auch im Gegensatz dazu stehen mochte, mein wirkliches Leben war, daß
ich mit Leidenschaft römisch-katholisch war, an die Kirche glaubte, an die Heilige Jungfrau,
an die Eucharistie und an alles andere, und daß ich, wenn ich schrieb, dies immer sagen
wollte, obwohl es mir nicht gelang.™ Diese Zeilen verfasste er zwei Jahre vor seinem Tode.

59 Elternliebe

Für Jose Cabanis bedeutet sie die ganz individuelle Liebe zwischen seinen Eltern und ihm. Sie
wurde für ihn letztlich zum absoluten Maß all dessen, was ein Mensch in seinem Leben mit
„lieben" zu bezeichnen pflegt.

Mein Vater und meine Mutter haben mir den schlimmen Dienst erwiesen, mich von früh auf zu
lehren, was es bedeuten kann, zu lieben. Oft träumt mir, ich sei in Deutschland, und immer
denke ich dabei an sie, fühle, ich bin von ihnen getrennt und habe keine Nachricht von ihnen,
und die letzten zwanzig Jahre meines Lebens sind ausgelöscht; sie wissen nichts von mir, nicht
einmal, ob ich noch lebe. Was mögen sie denken und empfinden, woher nehmen sie die Kraft
zum Leben? Jedesmal weckt mich dann diese Bangigkeit auf, fern von denen zu sein, die mich
lieben, ihnen kein Zeichen geben zu können und sie unglücklich zu wissen. Von dem Tag an, als
meine Eltern nicht mehr da waren, als ich mich plötzlich allein in diesem Hause fand, wußte
ich, daß ich nun niemandem mehr weh tun konnte und ganz unbesorgt sein durfte, denn ich
hatte keinen Menschen mehr, der an mir hing. Ich habe nie recht verstanden, was Freundschaft
ist, von der man immer so viel in den Büchern liest, oder vielmehr habe ich von jeher ein Spiel
der Einbildungskraft darin gewittert, etwas, das man als gegeben nimmt, und ein gut Teil Lite-

323 Cabanis, Les profondes annees, S. 78 f. Hervorhebung im Original.

324 Cabanis, Lettres, S. 95 f.

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