Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
26. und 27. Jahrgang.2006/2007
Seite: 72
(PDF, 62 MB)
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Als Zeichen ihres Dankes für Hilfe in der Not haben Nord- und Ostdeutsche sich dem hl. Theobald
gegenüber erkenntlich gezeigt. Ihre ,Gaben' haben es möglich gemacht, dass das Theobalds
-Münster in Thann, die nach dem Straßburger Münster größte und schönste gotische Kirche
im Elsaß, noch vor Beginn der Reformation fertiggestellt wurde; das Geld reichte sogar für
einen reichen Fenster- und Figurenschmuck (Abb. 15).

Das Reisen hat die Belastbarkeit und die Strapazierfähigkeit gefördert. Solche Eigenschaften
waren gefragt, als Europäer seit dem Ende des Mittelalters in die 'Neue' Welt und nach Ostasien
ausgriffen. Andererseits dürfte das berufsbedingte Reisen zu praktisch allen Jahreszeiten
manche Königin und manchen König so geschwächt haben, dass sie schon in relativ jungen
Jahren gestorben sind.

Viele Menschen sind mit offenen Augen durch fremde Länder gezogen, aufgeschlossen auch
für Bereiche der materiellen Kultur. Mangels Quellen können gewisse Auswirkungen solcher
Beweglichkeit nur wahrscheinlich gemacht, nicht 'bewiesen' werden. In diesem Zusammenhang
sei die Steigerung landwirtschaftlicher Erträge seit dem Hochmittelalter erwähnt. Könnte
sie nicht auch damit zusammenhängen, dass Reisenden Getreideähren mit vielen dicken
Körnern aufgefallen sind? Liegt es nicht nahe anzunehmen, dass mancher ein paar Ähren eingesteckt
und die Körner in seiner Heimat ausgesät hat? Handwerker, die seit dem Spätmittelalter
einen Teil ihrer Lehre in der Fremde absolvieren sollten, Gelehrte und Künstler haben
Anregungen, die sie unterwegs erhielten, geprüft und verglichen, aufeinander bezogen und auf
ihre Anwendbarkeit hin durchdacht; nach ihrer Heimkehr haben sie von dem erzählt, was sie
unterwegs Neues gesehen hatten, haben Kollegen veranlasst, ähnliche Werke herzustellen oder
sich in der Fremde kundig zu machen - etwa hinsichtlich der Nutzung von Wasser- und Windenergie
, der Herstellung von Papier und Druckerzeugnissen. Gutenberg hat in Mainz und
Straßburg gearbeitet; beim Gießen von Pilgerzeichen hat er Erfahrungen gesammelt, die in die
Entwicklung beweglicher Lettern eingegangen sind. Reisende haben dafür gesorgt, dass nach
wenigen Jahrzehnten in ganz Europa Schriften und Bilder mechanisch vervielfältigt werden
konnten. Ob die Träger eines solchen 'Technologietransfers' täglich 20 oder 30 km zurücklegten
, war unerheblich; entscheidend war, dass in Paris, Neapel und Granada Handwerker arbeiteten
, die über die Fähigkeit verfügten, eine Werkstatt für den Buchdruck in Gang zu bringen,
und dass es Gebildete gab, die darauf warteten, die Schriften antiker und mittelalterlicher Autoren
endlich zu erschwinglichen Preisen erwerben zu können.

Reisende erfuhren unterwegs und am Ziel, dass andernorts vieles weiter entwickelt, erfreulicher
, schöner war als in der Heimat. Diese Erkenntnis hat unterschiedliche Reaktionen ausgelöst
. Manche haben die Reise zur Auswanderung genutzt. Andere haben die Erfahrung fremder
Überlegenheit mit der Kultivierung eigenen Dünkels kompensiert. Wieder andere haben
das Wissen um eigene Grenzen als Herausforderung verstanden, sich weiterzubilden, den
offenkundigen Rückstand aufzuholen. Sie haben dadurch einen kämpferischen, auf Wettstreit
angelegten Zug in der europäischen Kultur verstärkt, den die griechische Kultur grundgelegt
und das Christentum gefördert hatten.

Die eigene Begabung, Fleiß und auf Reisen gewonnene Anregungen haben Bauherren, Handwerker
und Künstler zu hohen Leistungen befähigt. Ihre Werke erlauben Europa heute, sich
seines Erbes, damit auch seiner Identität bewusst zu werden. Einzelne Bauten und ganze
Ensembles in Speyer und Straßburg, Maulbronn und Reichenau wurden als Teil des Weltkulturerbes
unter den Schutz der UNESCO gestellt.

Auch dank der ungezählten Reisenden hat das Abendland einen Schatz von Rechten, Traditio-

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