Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
26. und 27. Jahrgang.2006/2007
Seite: 124
(PDF, 62 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2007-26-27/0126
len und 237000 Untertanen entschädigt, das heißt mit rund achtmal so viel als es hatte hergeben
müssen. Württemberg hatte sieben Quadratmeilen verloren und erhielt dafür 29; Preußen
erhielt 235 für 48 Quadratmeilen und Bayern 290 für 255.

An der rechtlichen Wirksamkeit der so geschaffenen Fakten besteht kein Zweifel, an ihrer
Rechtmäßigkeit indes sehr wohl. Der Reichsdeputationshauptschluß von 1803 kaschiert nur
mühsam, daß die Säkularisation mit dem Recht des Heiligen Römischen Reiches Deutscher
Nation nicht in Einklang zu bringen war; er kann nicht verbergen, daß hier mit Unterstützung
Napoleons das im Reich davor gebändigte Recht des Stärkeren ohne alle Hemmungen zur Geltung
gebracht wurde. Es nimmt daher nicht wunder, wenn dieses Reich den Untergang seiner
geistlichen Glieder nur noch um drei Jahre überdauerte. Denn nirgendwo - abgesehen von der
reichsfreien Ritterschaft und den kleinen Grafen - war der Reichspatriotismus, die Anhänglichkeit
an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und seine Institutionen so tief verwurzelt
wie gerade in den geistlichen Staaten. Folgerichtig gab es allein in den Schlössern und
Residenzen der Bischöfe und Prälaten Kaisergemächer - man denke nur an Würzburg, Bruchsal
, Wettenhausen, Brixen und andere mehr. Alle diese Kaisersäle erfüllten ihre Funktion auch
ohne daß je ein Kaiser sie betreten hätte, denn ihnen „lebte das Reich" vor allem als Idee.

Im 19. und 20. Jahrhundert, nachdem sie untergegangen waren, dominierte die Kritik ihrer einstigen
Widersacher das Bild, das die Historiographie von den geistlichen Staaten zeichnete,
und vor zwanzig Jahren faßte Hans-Ulrich Wehler im ersten Band seiner ,Deutschen Gesellschaftsgeschichte
' die seit zweihundert Jahren gängigen Klischees noch einmal prägnant
zusammen: Die geistlichen Staaten seien „politisch rückständig geblieben [...], da ihnen eine
gestraffte staatliche Verwaltung" gefehlt habe „und viele Kleriker als Drohnen durchgeschleppt
" worden seien, überdies sei ökonomische, wissenschaftliche und kulturelle Rückständigkeit
ein Merkmal dieser „ verkrusteten Gehäuse " gewesen.

Allerdings erscheinen dergleichen Behauptungen, die man nicht zuletzt für eine wohlfeile
Rechtfertigung der Säkularisation von 1802/03 halten darf, um so fragwürdiger, als just von
den Kommissaren, die im Spätjahr 1802 das bisherige Kirchengut namens der neuen Herren
beschlagnahmten, ganz andere Eindrücke überliefert sind. So beschreibt beispielsweise der
badische Geheime Rat Maximilian Wilhelm Reinhard die an seinen Fürsten gefallenen Teile
des Hochstifts Konstanz wie folgt: Wir fanden [...] ein aeüßerst schoenes, fruchtbares, meistens
zum Weinbau benutztes, aber auch mit schoenen Fruchtfeldern und herrlichen, wohlunterhaltenen
Waldungen versehenes Land, freundliche, guthmüthige Einwohner, Regierungs-
grundsaetze, die mit denen in unserm Vaterland sehr übereinstimmen, und gar manches weit
besser, als wir es erwartet hatten. Und über das Gebiet der benachbarten Zisterzienserabtei
Salem bemerkte derselbe Kommissar wenige Wochen später: Gleich der erste Anblick des Landes
, der sich einem Reisenden darstellt, führt den Gedanken herbei, daß es unter einer aufmerksamen
und guten Regierung stehen und schon seit geraumer Zeit gestanden haben müßte.
Auch der Geheime Referendär Ernst Sigmund Herzog, der die rechtsrheinischen Teile des
Hochstifts Speyer für den aufgeklärten und physiokratisch gesonnenen Karl Friedrich von
Baden in Besitz nahm, rühmte dieses Ländchen als eine Perle unter den vielen Neuerwerbungen
seines Herrn: Es ist wahrhaft sehr schön und fruchtbar, im allgemeinen blickt Wohlstand
hervor, überall das Aussehen eines eine Reihe von Jahren hindurch wohladministrierten Staates
. Und es unterliegt keinem Zweifel, daß mit den davor geistlich regierten Landschaften
Oberschwabens auch das Königreich Württemberg ein nicht weniger reiches und wohlbestelltes
Erbe antreten konnte.

124


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2007-26-27/0126