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Die jüngste Geschichte
Als der Krieg vorüber war, internierte der französische Staat zahlreiche Elsässer in den Lagern
Struthof und Schirmeck wegen angeblicher oder tatsächlicher Kollaboration mit dem deutschen
Feind. Tausenden wurden die bürgerlichen Ehrenrechte zeitweilig aberkannt, diese Wunden
schmerzten langezeit weiter. Die nationalsozialistische Besatzung hinterließ die Bevölkerung
schwer traumatisiert, was dazu führte, dass die Französisierungsbestrebungen, die nun
von der Pariser Regierung getroffen wurden, auf fruchtbaren Boden fielen. Die Schule war nur
noch französischsprachig, wie auch schon in der Zwischenkriegszeit; man sagte „ // est chic de
parier francais ". Offenbar war das Besatzungstrauma so stark, dass sich die Elsässer verführen
ließen, die Umgangssprache zu wechseln. Die malgre-nous wurden als schlechte Franzosen
betrachtet, was bei vielen von ihnen Minderwertigkeitskomplexe auslöste. Die wirtschaftliche
Lage erwies sich in den ersten Nachkriegsjahren als durchaus angespannt, aber dann
blühte die elsässische Wirtschaft auf.
Nachdem jedoch die Französisierungswelle über das Elsass hinweggerollt war, formierte sich
Widerstand. Inspiriert von der Studentenbewegung der späten 60er-Jahre besannen sich die
nicht frankophonen Minderheiten Frankreichs wieder auf ihr kulturelles und linguistisches
Erbe. Sie begannen, sich zu wehren. Meist waren es private Gemeinschaften, die sich für die
Dialekte einsetzten, da Frankreich bis heute keine Minderheitensprachen offiziell anerkennt.
Starke Solidarisierungseffekte beiderseits des Rheins ergaben sich aus den Protesten gegen das
Kernkraftwerk in Wyhl sowie das geplante Bleichemiewerk in Mülhausen. Der Umweltschutz
wurde in den 70er-Jahren beiderseits des Rheins zu einem viel diskutierten Thema. Wirtschaftlich
ging es weiter bergauf, obwohl die Textilkrise auch das Elsass traf, was jedoch durch
die Ausweitung des Dienstleistungssektors abgefedert werden konnte. Heute hat das Elsass die
niedrigste Arbeitslosenquote und das zweithöchste Durchschnittseinkommen Frankreichs nach
der Pariser Gegend. Zahlreiche Elsässer pendeln nach Deutschland oder in die Schweiz zur
Arbeit und einige japanische Unternehmen haben ihre Hauptsitze für Europa in das zentral
gelegene Elsass verlegt. Die wohl exklusivste Automobilfabrik der Welt, Bugatti, die in Molsheim
von 1909 bis 1947 bestanden hatte, wurde 1998 durch VW dort wiederbegründet. Heute
gibt es auch über alle Grenzen hinweg zahlreiche Initiativen zur Zusammenarbeit und auch die
deutsche Sprache im Elsass wird wieder häufiger gelehrt. Mittlerweile existiert eine Initiative
für einen 'Frühling' des elsässischen Dialekts, nämlich ihn wieder zu beleben und zu stärken.
Nicht nur elsässer Heimatkundler und Lokalpatrioten hoffen, dass das ausdrucksvolle Elsäs-
sisch erhalten bleibt.
Schlussbemerkungen
Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, wie die Geschichte des Elsass zeitweise
mehr, zeitweise weniger mit der Vergangenheit des rechten Rheinufers verknüpft war. Hierbei
überwiegen die Perioden einer gemeinsamen Geschichte. So war in keltischer Zeit das Elsass
Zentrum einer überregionalen keltischen Kultur, die auch die rechte Rheinseite bis zum Böhmerwald
umfasste. Erst mit der Eroberung durch die Römer wurde das Elsass zur Grenzregion,
wobei es in späterer Zeit, nach der Eroberung des Dekumatlands durch die Römer, diesen Status
verlor. Nach dem Rückzug der Römer auf das linke Rheinufer wurde das Elsass aufs Neue
zum Grenzland. Nach deren Vertreibung durch die Germanen und der Einwanderung der Alemannen
war das Elsass dann wieder in eine gemeinsame überregionale Herrschaft mit dem
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