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Zählung (Vita) einige an den Weinbau anknüpfbare Mirakel aufweist: Es handelt sich um den
Bischof Urban von Langres (Urbanus Lingonensis, Gedenktag am 2. April35), der in den galli-
kanischen Bischofslisten zum 5. Jahrhundert verzeichnet und dessen Hagiografie im 10. Jahrhundert
im Kloster St. Benigne zu Dijon geschrieben wurde. Dieses ältere, in Burgund
entstandene Weinpatronat sei später aufgrund der Homonymie gleichsam überstülpt worden
vom weitaus bekannteren, auch liturgisch bedeutsameren Namen des heiligen Papstes. Man
hätte somit den heiligen Papst Urban, der in den offiziellen und universal-maßgeblichen Kalen-
darien zu finden war, vertauscht mit dem Bischof Urban - der in den universal verbreiteten Hei-
ligen-Kalendarien und in den Legenda Aurea eben nicht auftauchte36.
Die Frage, die sich hier erhebt, lautet allerdings: Waren Name und Wort „Urban" im mittelalterlichen
Mitteleuropa (nicht nur in der Bourgogne!) solcherart fest semantisch besetzt, dass sie
gleichsam automatisch mit Rebfluren und religiöser Weinbauhilfe assoziiert wurden? Hängt die
Logik des Patronats mit Zeitpunkten zusammen oder mit hagiografischen Eigenschaften?
Wenn allein die Position des dies festus sancti urbani im Ruraljahr für die Verbindung Urbans
I. zu den Reben ausschlaggebend gewesen sein sollte, hätten auch allein die Weinbauern und
Weinberufe, nicht aber Kleriker und gelehrte Hagiografen, für die spezifische Kennzeichnung
des Heiligen auf Bildwerken gesorgt. Die Rebzweige und Trauben, mit denen die Figur seit dem
Spätmittelalter bis in die Neuzeit an oder auf kirchlich maßgeblichen Altarbildern in Mitteleuropa
wahrzunehmen ist, wären dann, mit anderen Worten, eine spezifische Attributierung, die
letztlich Laien, in dem Falle die Winzer mit ihren landwirtschaftlichen und jahreszeitlichen Bedürfnissen
, bestimmt hätten. Ist aber die Übertragung von einem Heiligen zum gleichnamigen
anderen letztlich ausschlaggebend gewesen, wären es dann die Bestandteile einer hagiografischen
Geschichte, die des Urban von Langres37, nicht die der Winzer, die dem Fest und der Darstellung
Papst Urbans I. gleichsam durch die Hintertür zugeordnet worden wären. Folgt man
dieser Argumentation, wären die Winzer im Grunde dann doch der Hagiografie gefolgt und hätten
in Wahrheit den lingonensisch-gallikanischen Bischof Urban an der Gestalt des Papstes angerufen
.
IV.
Eine ganz außergewöhnliche Eigenschaft am Winzerpatron Urban ist, dass seine Figur und sein
Name auch im protestantischen Raum - insbesondere in den Weinbaulandschaften Württembergs
, aber auch andeutungsweise im protestantischen Kanton Waadt (Schweiz)38 - sowie außerdem
in einem von 1949 bis 1990 als atheistisch deklarierten Staat - nämlich Ungarn - in
weitgehend säkularisierter Weise als Repräsentationsbild der Rebbauberufe in Gebrauch blieben
.
Im protestantisch bestimmten Württemberg behielten einige Winzervereinigungen auch nach
der Reformation, teilweise bis heute, wertvoll ornamentierte Urban-Figuren zu Repräsentationszwecken
weiter bei. Schöne Beispiele findet man unter anderem bei der Weingärtnervereinigung
Bad Cannstatt, in Esslingen oder in Reutlingen. Diese Figuren sind allerdings nicht mehr
als Papst- und Heiligenfigur ausgestattet, sondern haben die Gestalt eines gekrönten Weingärtners
mit einer stilisierten Bütte am Rücken. Im schweizerischen Vevey nennt sich heute noch
der Verband der Winzer „Confrerie [...] dites St. Urbain".
Historisch hat es auch in Ungarn, ja in den Weinproduktions- und Weinhandelsgebieten des Karpatenbeckens
insgesamt, eine reichhaltige Pflege der St. Urban-Veneration gegeben - das Bei-
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