http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2011-30-31/0024
Das Evangelium „pur und frei von menschlichen Fabeln ernstlich
zu lehren und zu predigen " - Jakob Otter in Kenzingen*
Hans Maaß
Die Anfänge der reformatorischen Bewegung in Süddeutschland waren vor allem eine Angelegenheit
der städtischen Bürgerschaft, nicht der Landesherren. Straßburg, Ulm, Memmingen stehen
dafür; in manchen Städten war die Reformation bereits wieder unterdrückt worden, ehe sie
in anderen Städten und Territorien überhaupt begonnen hatte. Beispiele dafür sind Konstanz und
Gengenbach, aber auch Kenzingen während des knapp zweieinhalbjährigen Wirkens Jakob Otters
.
1. Jakob Otter, ein gelehriger Waisenknabe
Jakob Otter stammte aus Lauterburg im heutigen Elsaß. Ungefähr 1485 geboren, war er nur
wenig jünger als Martin Luther. Wie so viele Kinder jener Zeit verlor er sehr früh seine Eltern
und kam daher zu Verwandten nach Speyer. Dies war für ihn lebensentscheidend; an der Domschule
begegnete er einem der damals berühmtesten Gelehrten, Jakob Wimpfeling. 1505 schrieb
er sich an der Universität Heidelberg ein, zwei Jahre später ging er nach Straßburg als Sekretär
des weit über diese Stadt hinaus bekannten und berühmten Münsterpredigers Geiler von Kaisersberg
, dessen Predigten er später herausgab. Da diese von Otter aufgezeichneten und ins Lateinische
übersetzten Predigten reißenden Absatz fanden, wurde Otter in ganz Deutschland
bekannt.
Von Geiler von Kaisersberg lernte Otter die Art volksnahen Predigens. Geilers Denkweise
machte Otter auch aufgeschlossen für reformatorisches Gedankengut, als er in späteren Jahren
Luthers Schriften kennenlernte. Denn Geiler gehörte zu jenen großen Predigerpersönlichkeiten
unmittelbar vor der Reformation, die unerschrockene Kritik an den Missständen ihrer Zeit mit
tiefgläubiger Frömmigkeit verbanden. Nach Geilers Tod ging Otter nach Freiburg, wo er in der
Kartause wohnte, und ließ sich am 31. Juli 1510 als „Jacob Otter aus Speyer" an der Universität
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