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Mann so aufrichtig und rechtschaffen als irgendjemand. Ich streite oft freundschaftlich mit ihm,
wenn er allzu arg lutherisiert. "
Nicht alle Reformgesinnten waren auch reformatorisch gesinnt. Den Reformgesinnten ging es
lediglich um die Abstellung von Missständen in Kirche, Staat und Gesellschaft. Ein Beispiel
dafür ist das „Narrenschiff' des Straßburgers Sebastian Brant, in dem dieser Rechtsgelehrte in
112 Gedichten sowohl den moralischen Verfall seiner Zeit als auch Fehlentwicklungen des geistlichen
Standes und der Klöster satirisch aufs Korn nimmt. Von Reformatorischen kann man allerdings
erst sprechen, wenn der gottesdienstlichen Verkündigung nicht mehr die Kirchenlehre,
sondern die Heilige Schrift zugrunde gelegt und von dieser Grundlage her Kritik an den Zeitverhältnissen
geübt wird. Letzteres galt sowohl für Martin Luther als auch - nach dem Zeugnis
von Ulrich Zasius - für Jakob Otter. War er deshalb der richtige Mann für Kenzingen?
2. Jakob Otter, der richtige Prediger für Kenzingen?
Als Pfarrer von Wolfenweiler hatte Otter mehrfach einen Ruf auf andere Predigerstellen erhalten.
Dabei handelte es sich meist um von der Bürgerschaft einer Stadt finanzierte Stellen für theologisch
gebildete „Prädikanten " im Unterschied zu den vom Bischof eingesetzten Messpriestern
.
Als die Bürgerschaft mit dem Wunsch nach einem Pfarrer, der bereit und in der Lage war, in
ihrer Stadt das Evangelium „pur und frei von menschlichen Fabeln ernstlich zu lehren und zu
predigen " an ihn herangetreten war, folgte Otter zu Beginn des Jahres 1522 dem Ruf nach Kenzingen
(Abb. 1). Hinter diesem Wunsch muss nicht unbedingt eine religiöse Motivation gestanden
haben. Viele Pfarreien und deren Pfründen waren von Grundherren abhängig oder mit
Ordenspriestern besetzt. Daher standen die Pfarrer vielerorts in dem Verdacht, so zu predigen,
wie es den Grundherren und Kirchenoberen genehm war, und gesellschaftliche Entwicklungen
einschließlich Fehlentwicklungen und Missständen als „gottgewollt" auszugeben.
Schon 1513 hatte sich in Lehen bei Freiburg die Bauernvereinigung des „Bundschuh" gegründet,
1514 in Bühl der „Arme Konrad". Sie wandten sich gegen die Verarmung des Bauernstandes,
die oft mit Leibeigenschaft einherging. Deshalb wurden Aussagen wie etwa der Satz Luthers,
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem Untertan ", ohne Rücksicht
auf den Zusammenhang in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen" und dessen
eigentliche Aussageabsicht als politische Parole missverstanden und etwa im später ausbrechenden
Bauernaufstand als „geistliche Waffe" gegen die Grundbesitzer verwendet. In den „Zwölf
Artikeln der Bauern" von 1525 (mit dem Titel „Dye Grundelichen und rechten haupt Artickl
aller Baurschafft und Hyndersessen der Gaistlichen und Weltlichen oberkayte von wölchen sy
sich beschweret vermainen") lautete z.B. die Forderung im 1. Artikel: „Die Gemeinde soll ihren
Pfarrer frei wählen dürfen, die Predigt Luthers Evangeliums soll erlaubt sein. " Und der letzte
Artikel lautete: „ Wenn einer oder mehr Artikel hier aufgestellt sein sollten, die dem Wortes Gottes
nicht gemäß sind, dann wollen wir davon Abstand nehmen, wenn man uns das aus der heiligen
Schrift nachweist."
Obwohl man sich damit auf Luther berief und sich angeblich durch die Heilige Schrift belehren
lassen wollte, verselbständigte sich die Bewegung. Luther war dagegen machtlos, wie seine
Schriften zum Bauernkrieg zeigen. Diese erscheinen sehr widersprüchlich, wenn man Luthers
Denkvoraussetzungen nicht kennt und berücksichtigt. In seiner Schrift „Ermahnung zum Frieden
" geht er noch davon aus, die Berufung der Bauern auf Gedanken in seinen früheren Schriften
sei von den Bauern in seinem Sinne verstanden worden. Als er jedoch den Eindruck gewinnt,
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