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4. Der Pfandherr Wolff von Hürnheim
Kenzingen gehörte damals zwar zum habsburgischen Vorderösterreich, war aber an den Ritter
Wolff von Hürnheim (Abb. 3) verpfändet, der damit die Hoheitsrechte über die Stadt besaß. Bei
ihm erhoffte man sich Rückendeckung. Dem Straßburger Protokoll ist zu entnehmen: „Nachfolgend
am achten Tag nach dem heiligen Pfingsttag anno XXIIII [= 1524], als die ganze Versammlung
der Bürgerschaft dem gnädigen, edlen, festen Herrn Wolff von Hürnheim [...] als
regierendem Herrn geschworen, alldazumal hat eine (allgemeine Versammlung der Bürgerschaft
den bemelten [= besagten] Herrn Wolff von Hürnheim [...] auf das allerfleißigste lassen
bitten, dass sein Sinnen als eines ernstlichen Herrn und Liebhaber der göttlichen (Go)schrift
Meister Jacoben, den Prädikanten, wollte allda lassen bleiben und ihnen das Gotteswort wie
ers angefangen hat lassen predigen und verkünden ebenso seine Unterweisung christlicher
Ordnung für rechtens zu erklären (Ziff. 10).
Man schätzte den Pfandherrn offensichtlich als ehrlichen, dem Wort Gottes gegenüber aufgeschlossenen
Herrscher ein. Aber das Protokoll geht weiter: „Darauf er, Herr Wolff von Hürnheim
, zu einer ganzen Versammlung der Bürgerschaft und anderen ungefähr (liehen) zu melden
also nachfolgend gesagt: Ehrsame liebe Freunde und Untertanen, ich weiß wohl, das Meister
Jacob, der Prädikant, nichts anderes denn was die Wahrheit inhalt [= enthält, einhält] gepredigt
und gelehrt hat. Ich wollte ihn sonst selber von dannen tun. " Er verlangte aber, Jakob Otter
müsse daran erinnert werden, dass ihm drei „Artikel" geboten worden seien: „Nämlich zum ersten
das hochwürdige Sakrament in beider Gestalt nicht zu empfangen, zum andern kein Kind zu
deutsch taufen [= mit einer deutschen Taufformel] und zum dritten nicht deutsch die Messe lesen
zu lassen, sondern im alten Gesetz bleiben. " (Ziff. 11)
Diese drei Forderungen sind für die frühen Jahre der Reformationszeit von besonderer Bedeutung
. Die kirchliche Obrigkeit war offensichtlich weniger an der Predigt interessiert als daran,
dass der Gottesdienst „ rite " nach der alten Form (hier: „im alten Gesetz") gehalten wurde. Deshalb
konnte ein Kirchenhistoriker auch einmal sagen, man könne daran, wie das Abendmahl gefeiert
wurde, erkennen, ob die Reformation in einer Gemeinde eingeführt wurde; andere
Unterlagen stehen oft nicht zur Verfugung. Zudem muss bedacht werden, dass diese Verhandlungen
zwischen Bürgerschaft und Pfandherr im Jahr 1524 stattfanden, drei Jahre nach Luthers
Ächtung sowie Verhängung des Kirchenbanns und der Reichsacht. Ein Grundherr, der sich in
diesen Fragen zu weit vorwagte, lief somit Gefahr, ebenfalls mit der Reichsacht belegt zu werden
. Erst auf dem Reichstag von Speyer 1526 wurde den Fürsten eingeräumt, „ dass jeder Stand
sich so verhalten solle, wie er es vor Gott und dem Kaiser verantworten könne "; dies sollte allerdings
drei Jahre später wieder aufgehoben werden, wogegen die Fürsten und freien Reichsstädte
, die mittlerweile die Reformation eingeführt hatten, protestierten. Die Dinge waren also
noch im Fluss, und es war gefährlich, derart eindeutig feststellbare Neuerungen einzuführen wie
den Empfang des Abendmahls mit Brot und Wein oder die Taufe, ja überhaupt die liturgisch
festgelegten Teile des Gottesdienstes in der Landessprache zu halten.
Interessant ist in diesem Zusammenhang etwa ein „Mandat" des Markgrafen Philipp von Baden,
der einerseits vorschreibt, beim Abendmahl dürfe nur die Hostie empfangen werden, es aber zu-
lässt, wenn jemand in Lebensgefahr ist und das Abendmahl nur in beiderlei Gestalt zu empfangen
bereit sei, dass dann der Priester es ihm in dieser Form geben solle, und wenn er dazu nicht
bereit sei, ein Priester gesucht werden müsse, der dem Sterbenden das Sakrament in dieser Form
reicht. Dies war ein seelsorgerlich denkender Fürst, dem das Seelenheil und gute Gewissen
seiner Untertanen wichtiger war als die Einhaltung kirchlicher Ordnungen - wenn auch nur im
äußersten Notfall!
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