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digen, zum Teil anstößigen Lebenswandel so mancher Mitglieder des geistlichen Standes. Ein
beachtlicher Teil des Klerus stand im Widerspruch zu den sittlichen Normen und zu einer zunehmend
wachsenden bürgerlichen Mentalität, für die Arbeit und Leistung maßgebend waren.
Über Jahrzehnte hatte der populäre und sittenstrenge Prediger Dr. Johann Geiler von Kaysersberg
(1445-1510) von der Kanzel des Münsters die Missstände in der Kirche angegriffen und dieser
anstößigen Realität das Ideal der frühen Christenheit gegenübergestellt. (Abb. 2)
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Abb. 2: Der Münsterprediger Dr. Johannes Geiler von Kaysersberg auf
seiner für ihn angefertigten Kanzel von Hans Hammer.
Der Humanist und Pädagoge Jakob Wimpfeling (1450-1528) sowie der durch seine Moralsatire
„Das Narrenschyff' (1494) bekannte Straßburger Stadtschreiber Dr. Sebastian Brant (1457/58-
1521) hatten in ihren Reden und Schriften ebenfalls schonungslos Kritik an den bestehenden
Verhältnissen geübt. Auch die anderen Humanisten in der Stadt sorgten mit ihrer Wertschätzung
von Bildung und Freiheit für die Verbreitung eines ethischen Leitbildes, mit dem verglichen die
kirchliche Wirklichkeit als Niedergang in die Augen sprang. So sah man in dem Welt- und Ordensklerus
zunehmend einen Fremdkörper in der Stadt, gegen den die Bürger Front machten.
Es war in erster Linie der erstarkende städtische Patriotismus, der die Führungsschicht der Stadt
mit der übrigen Bevölkerung zusammenschloss. Weder die Regierenden noch die Bevölkerung
waren grundsätzlich Gegner der Kirche, aber sie drängten auf die Durchführung der längst anstehenden
Kirchenreformen.
Viele verschiedene Interessen, Meinungen und Erwartungen verbanden sich mit der reformatorischen
Bewegung. Neben moralischen und religiösen Überzeugungen waren politische und
wirtschaftliche Zielsetzungen von Bedeutung. Eine latente soziale Unzufriedenheit war ebenso
spürbar wie der wachsende Antiklerikalismus. Nicht zuletzt herrschte ein zunehmendes Verlan-
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